Alexey Iwanow

Alexey Iwanow. Sein erster Künstlername. Das klingt mystisch und fremdländisch und das passt beides zu seinem Aussehen. Befanden jedenfalls seine Mutter sowie der Führer ihres Trupps und damit war die Sache geregelt. Wieso er so aussieht wie er aussieht war ein Rätsel für ihn, bis er die Sache mit den Bienen und den Blumen lernte. Mitte der Pubertät, als er mal wieder unterm Wagen schlafen musste, weil seine Mutter Herrenbesuch aus dem aktuellen Dorf hatte, ging ihm auf, dass sein Vater von ganz wo anders kommen musste und mit der dreisten Direktheit, die ihm nie ausgeprügelt worden war, stichelte er, bis er Antworten bekam, die seine Vermutung bestätigten. Seine Mum war nicht immer in diesem Trupp unterwegs gewesen, sondern früher weiter im Norden umhergezogen. Dort seien die Männer wie die Landschaft gewesen. Rau. Über kurz oder lang sei das Grund genug gewesen, sich im Süden was neues zu suchen, unwissenderweise mit Alexey unterwegs. Ihre verträumte Stimme bereitete ihren Weg als Sängerin in der Gruppe mit der Alexey aufwuchs, lange lebte und noch herumzog, als seine Mutter bereits einem Fieber erlegen war. Das Leben von Fahrendem Volk ist kein einfaches und die wenigsten leben lange genug, um später zahnlos Eintopf zu lutschen und von den guten alten Zeiten zu schwärmen. Freilich hieß Alexey damals noch nicht Alexey. Seine Mutter hieß ihn Joshua, wie alle anderen auch. Das blieb auch so, solange kein Publikum anwesend war. Denn seit er so etwas wie passable musikalische Fähigkeiten an den Tag legte, war er ein volles Mitglied der Gruppe, ein Künstler, zu höherem berufen und ihm gebührte ein Name, der ihn wiederspiegelte. Seine Meinung was da gespiegelt werden sollte zählte wenig, denn seine Gesichtszüge, gepaart mit der tiefen Stimme verzauberten, wenn er Geschichten erzählte oder seine Poesieversuche vortrug. Doch etwas fehlte immer, um die Show zu perfektionieren und eines morgens stürmte Jasmer Ohnebart herein, ihm zu offenbaren, was fehlte sei ein passender Akzent. Wieder zählte seine Meinung nichts und er sollte dutzend verschiedene Sprachmelodien ausprobieren, bis er mehrer Tage heiser war. Worauf sich seine Stimmhauer einigten war etwas, das für ihn klang, als würde er mit jedem Satz Steine klopfen und hätte dabei obendrein noch einen juckenden Frosch auf dem Kehlkopf sitzen. Irgendwann gewöhnte er sich dran. Denn, das konnte er nicht bestreiten, der Akzent tat seine Wirkung. Das Publikum lauschte gebannt jedem Bullshit aus seiner erdachten mystischen, fernen Heimat in der Eisriesen wahrhaft Einhörner züchten, da deren Hörner das einzige sind, was das Kristalleis ihrer tiefen Schneeschluchten bearbeiten kann. Wenn er zu sehr die Balken bog bekam er hinterher Rüffel, doch niemand zweifelte an seinen Fähigkeiten, die Balken so sehr zu biegen, dass er daraus einen Bogen bauen könnte, der gefröhrene Scheißhaufen direkt in die Hirne der gutgläubigen Dörfler abschießt. In Städten, die sie selten genug zu Gesicht bekamen, da diese von den größeren Spielgruppen in Beschlag genommen wurden – was Prügel bei Missachtung bedeutete – wurde Alexey dann an die Zügel genommen oder sein loses Mundwerk mit der Flöte gestopft, für die er weder Talent noch Interesse besaß, doch sie ist nunmal einfach zu spielen, gut als Zwischenstücke bei Aufführungen und er konnte nicht gleichzeitig Mist erzählen.

Was die anderen Musiker, Schauspieler und Gaukler von Berufung faselten verstand Alexey nie. Das heißt, doch, er verstand es, aber er fühlte es nicht. Nicht bei Musik, nicht beim Dichten oder Geschichten erfinden. Was dem am nächsten kam, war seine Faszination für die Geschichten über Nenathal Istariel. Von denen konnte er gar nicht genug bekommen und obwohl er selber ähnlich haarsträubend absurde Abenteuer verkaufte, kam ihm nicht einmal der Gedanke, die Geschichten und Lieder könnten nicht wahr sein. Mit seiner Harfe habe er die Melodie gespielt, die Blätter beim fallen verursachen, bis die Bäume ob des Verlustes weinten und sich entschieden, ihre Blätter nie wieder abzugeben. So sei der immergrüne Wald der Elben entstanden. Herbstabende lang versuchte Alexey irgendetwas in der Richtung auch nur zu hören, geschweige denn zu spielen, doch bis auf das gelegentliche Grunzen der Liebenden war dies seinen Ohren verborgen. Er hat halt keine Elfenohren. So sehr er Nenathal und dessen großen Taten auch nacheinfern wollte, er musste sich stets eingestehen, dass er weder musikalisch begabt, noch ein Held oder irgendjemand von Bedeutung war. Dennoch, an der Stelle, wo vielleicht die Stimme seines Vaters in seinem Kopf gesessen hätte, hätte er ihn jemals gekannt, saßen diese Geschichten über Nenathal und stets fragte er sich, was dieser nun von dem gehalten hätte, was er gerade fabrizierte oder auch generell aus seinem Leben machte.

Seine beste Freundin in der Truppe ist Mileya, ein Tiefling-Mädchen. Lange war er neidisch auf ihrer angeborenen magischen Fähigkeiten und den angstvollen Respekt, der ihr überall entgegengebracht wurde. Sie konnte Menschen mit nur einem Blick so sehr maßregeln, wie er es nur mit all seiner Wut und Schauspielkunst hinbekam. Doch aus der Not machte er eine Tugend und fing an, ihr Talent dafür zu bewundern. Manchmal grummelte sogar die Erde, wenn sie wütend guckte und es gab niemand besseren, ihm auf stimmschonende Weise gehör zu verschaffen. Was blieb aus der anfänglichen Konkurenz war eine neckende Art und Weise, sich gegenseitig herauszufordern. Anfangs waren es Streiche und kleine Mutproben, doch je älter sie wurden desto gefährlicher wurde das Spiel. Der Höhepunkt ihrer Dummheiten kam in dem kleinen Dorf Gundelwacht, welches am Fuße einer ehemals prächtigen, doch scheinbar schon vor Ewigkeiten zerfallenen Burgruine lag. Dort spuke es, der Ort sei verflucht und bei Neumond sähe man oft unheimliche Lichter in der Ruine herumziehen. Ja klaaaar. Sie fielen sich beinahe gegenseitig ins Wort dabei, ihre „wetten dass du dich nicht traust….“ Herausforderungen auszusprechen. Wenn man zu viele Spukgeschichten aus dem Blauen heraus erfindet, leidet der Respekt an den Geschichten anderer, die vielleicht mehr Substanz haben, als die eigene. Doch das sollten die beiden schnell genug herausfinden. Nach dem Auftritt stahlen sie sich davon, das Tor war von außen zugenagelt und Steinbrocken davor gerollt worden, doch wo Pflanzen seit Jahren Wege suchen, finden auch zwei Halbstarke ihren Weg über die Mauer. Wirklich ziemlich zerfallen. Und keine Spur von Spuk. Alexey war dumm gewesen, denn er hatte die erste Wette ausgesprochen, dass sich Mileya nicht traue, allein im Burghof zu warten, bis der Mond oder die Sonne wieder auftauche. Mileya wusste das natürlich sofort zu toppen und ließ ihn den tiefsten Keller suchen. Zu hohl, dass sie im dunklen sehen kann und er nicht. Mit schlotternden Knien und gespieltem Selbstvertrauen verließ Alexey Mileya also, um bloß mit einer Fackel und seinem Käsemesser bewaffnet die Katakomben zu erforschen. Gaaaanz große Idee. Viele Wege waren versperrt oder eingestützte, doch es ging schon ziemlich weit runter. Wie in einer schlechten Gruselgeschichte lag am tiefsten Punkt natürlich ein Kreisrunder Raum, der völlig von Staub und Verfall verschont geblieben war, sogar die Kerzen brannten noch. Dennoch kein Lebenszeichen. Auch kein Totenzeichen, denn darauf achtete Alexey trotz allen Hohnes dann mittlerweile doch. Es war eine Art Lesekammer, ein paar Sessel, einige Bücher und als er dem Raum weiter erkundete natürlich mystische Symbole auf Boden und Wänden. Das wars, er hatte den tiefsten Punkt erreicht und konnte wieder hoch gehen, Wette gewonnen. Nur noch kurz aufwärmen, an diesem Kamin, der auch ohne Feuer lichterloh brannte. Bücher sind ja bekanntlich einiges wert. Und die hier hatten offensichtlich auch keinen Besitzer mehr. Hoffentlich. Das erste welches ihm ins Auge fiel lag noch aufgeschlagen auf dem Lesepult und noch während er sich bewusst wurde, dass dies der Wendepunkt in jeder Geschichte für dumme Bauern wäre, der Zeitpunkt, in dem die schüchternen Jungs anfingen nervös herumzurutschen und die wackeren Mädchen dazwischenriefen, das Buch müsse zugeschlagen und sofort verbrannt werden, ja während dieser Gedanken dann war es auch schon zu spät. Seine Aufmerksamkeit lag wie hypnotisiert auf den Zeilen, sein Verstand ein bloßer Beobachter, sein Körper nicht mehr ihm gehörend fand er sich eine Sprache lesend, die er gar nicht kannte, während er Seite für Seite weiterblätterte in einem Singsang der seinen holzigen Akzent noch als flüssigen Honig dastehen ließ. Irgendwann war sein Körper dann auch egal, denn sein Geist wanderte durch absurde Fantasiereiche. So absurd, dass er hinterher weder die Farben bezeichnen, noch die Ereignisse in Worte fassen konnte. So weit jenseits seines Verstandes, dass seine Sicht auf die Welt wie das Gekrakel eines dreijährigen Anmutete, während er dem Erfinder von Sprache gegenüber saß.

Irrwitzige, abscheuliche und phantastische Gestalten huschten durch seinen Geist. Nichts blieb, bis er irgendwann auf eine Melodie stieß, die er oder die ihn nicht mehr loslassen wollte. Eine Melodie wie diese Welt, diese Erfahrung selbst. So weit weg, so sphärisch, geisterhaft und ungewöhnlich. Binnen Sekunden war er verliebt und verstand, nein, fühlte was die anderen Künstler um ihn herum in ihrer Musik fanden. Dieses tiefe schwingen, das Herzberührende ausschweifen und reisen auf den Tönen. Sein Geist folgte den Tönen durch die Krallen von Ungeheuern, ließ nymphenhafte Schönheiten links liegen und syrreal unwahrscheinliche Landschaften vorbeiziehen. Mehr war es so, als bewege sich die Landschaft durch ihn, als andersherum und so konnte die Resonanz des Klanges in ihm seinen Weg leiten wie ein Pfeil auf geradem Flug ins Ziel. Als er sie sah, wusste Alexey, dass er seinen Meistern begegnet war, kein Musiker seiner Welt hatte ihn je so inspiriert, so berührt. Sie spielten den Klang der geistigen Welt, formten Gedanken aus dem Rhytmus und Bilder tanzten durch die Oktaven. Sie saßen einander gegenüber, ähnlich und doch so unterschiedlich. Der eine, wie der Tod selbst in einer düstren Kapelle. Dieser spielte den Rahmen so hörte Alexey, er spielte die Grenzen von Gedanken und Gefühlen, von Leben, von Tod, ohne ihn konnte kein Inhalt sein, doch allein wäre seine Musik leer gewesen, denn es lägen keine Klänge zwischen Anfang und Ende, es gäbe nichts zwischen den Grenzen, keine Zeit zwischen aufwallen und abflachen von Gefühl. Dies Dazwischenliegende spielte sein Gegenüber. An einen Baum gelehnt, mal im Werden, mal im Vergehen begriffen, alles Erlebbare, alles Ausdrückbare hallte aus seiner Klampfe. Kurz schien es als spielten sie nur für ihn, doch das musste Trug sein, denn spielten sie nicht die Grundtöne der Welt. Die Ewigkeit ging viel zu schnell Zuende, keine Worte wurden getauscht, hatten sie ihn überhaupt angesehen? Sicher war bloß, dass sie ihn zutiefst berührt hatten.

Lange stand er sprachlos vor dem zugeklappten Buch, sein Mund bewegte sich weiter, eine Sprache nachbrabbelnd die keinen Sinn für ihn hatte. Mileya lag vor ihm, schlafend, innerhalb der vielen magischen Zeichen, die noch schwach leuchteten. Wie zum Teufel war sie hier her gekommen?

Als sie wieder zu sich kam war sie ahnlich sprachlos wie er, offensichtlich auch verändert. Noch sehr, sehr lange sollten sie in stillem Einvernehmen schweigen über diese Nacht. Sie nur als „Damals“ bezeichnen. Nie wieder waren ihre Wetten soo dumm. Sie kletterten zurück, bloß raus aus der Burg, doch ihre Truppe war fort. Auch die Feier war vorbei. Alles sah anders aus und in den nächsten Tagen erfuhren sie, dass dreißig Jahre vergangen waren, seit ihr Trupp hier gewesen war. Auch dass er seither nie wieder in das Dorf gekommen war. Mangels anderer Ideen machten die beiden sich auf die Suche nach ihrer alten Truppe. Zu ihrer Zeit hatten sie sich „Jasmers phantastische Schaustellertruppe“ genannt. Jasmer war ein Halbling gewesen, nicht mehr der jüngste. Die Chance, dass es beim selben Namen geblieben war, war verschwindend gering. Doch mehr Familie hatten sie nunmal nicht.

So begann ihr Abenteuer und während sie versuchten irgendwie zu überleben, entdeckten sie die Fähigkeiten, die ihre Reise in die andere Welt als Spur in Ihnen hinterlassen hatten. Und Alexeys Besessenheit nahm langsam zu. Das alte Buch hatte er mitgenommen, doch es zu lesen gelang nur manchmal, es entzog sich seinem Verstand und nur an Tagen, an denen er von der Musik geträumt hatte, machte es Sinn für Ihn. Welches Instrument auch immer er ausprobierte, nichts konnte den Tönen gleichen. Er brachte Mileya zur Weißglut mit seinen Experimenten, teilweise wirklich teure Materialen zum klingen zu bringen, doch er näherte sich an. Aus einer alten Laute wurde Stück für Stück ein Instrument gebaut, das den Rhytmus den „Drüben“ einfangen sollte. Mehrere Hälse mussten montiert werden, teile des Korpus durch verschiedene Metalle ersetzt werden. Eine Saite aus den Haaren einer blondgelockten Jungfrau zu flechten braucht eine ganze Woche, bloß um beim ersten ernsten Anschlag zu reißen. Dies und viele weitere unkonventionelle Erkenntnisse Sammelte Alexey auf seinen Reisen, das Instrument nie fertig, doch immer fertiger. Irgendwann fing er an, seine Geschichte zu erzählen, begleitet von der sphärischen Musik. Magier schienen es zu mögen, besonders wenn sie sich gleichzeitig mit Rauchkräutern betäubten. Ein netter Verdienst. An seinem Tavernenauftritt jedoch musste er noch feilen, bis er schließlich wieder zur Flöte griff, um ausufernde Unzufriedenheiten zu bändigen.

Ja und so provozierten sie sich dann durch die Gegend.

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