Anhang 351 – Aufzeichnungen einer Reise (Shield of Light)

Tag 5

Es ist spät am Abend des fünften Tages nach Ankunft. Ich zähle den zehnten Eintrag nach unserem Exodus aus dem magischen Gespinst in dieses fremde und hoffnungslose Land. Seit unserem Abenteuer mit dem anscheinend als verzweiflungsschürende Figur missbrauchten Tiger mit den säbellangen Zähnen und dieser Abart an fader Musik ohne jede Emotion, inszeniert durch einen anscheinend grausamen und selbstverliebten Ortsvorstehers, der sich selbst Baron nennt, hat sich leider immer noch nicht viel Änderung gezeigt. Es ist auch kein Pfad zurück nach Toril zu sehen, wo unsere Mission dringend ihrer Durchführung wartet.

Doch wenigstens scheint sich das Band zu der Gruppe ebenfalls gestrandeter Abenteurer, die ich hier traf, zu festigen. Der Gruppe bestehend aus dem begabten Theo, der grazilen und impulsiven Quennessaa namens Arabella und Hara, einer willensstarken zurückhaltenden Maelthra mit ihren drei Begleitern, die ich bisher noch nicht richtig kennenlernen konnte, sowie Maduin – eine für mich bisher noch nicht ganz einschätzbaren Geschichte für sich. Und doch habe ich das Gefühl nicht zufällig hier zu sein. Zu sehr leidet dieses Land. Ihm fehlt es an Aussicht, ihm fehlt es an dir, meiner Jabbress. So sehr mich der dichte Schleier, der sich hier wie schwere Gedanken über alles legt, auch vor der grellen Sonne schützt, so sehr schluckt er auch das Licht des Mondes – das Licht der Hoffnung. Es braucht dich. Es braucht Eilistraee. Es braucht uns.

Nun denn…

Nach meinem letzten Eintrag wurde ich zeuge einer verhaltenen Auseinandersetzung zwischen Hara und dem Schwerttänzer Theo. Wie schon länger beobachtet scheint ein Keil in die Gruppe gefahren zu sein. Es fehlt an Zusammenhalt und Absprache. Ja, sogar an Vertrauen. Jeder scheint für sich vorzupreschen. Selbst jetzt, wo ihr Gefährte zurückgekehrt ist, scheint eine Art zähen Trübsal über allen zu lasten. Es wird Zeit zu agieren, statt nur zu reagieren und auch wenn ich zu neu in dieser Gesellschaft bin, sehe ich nur einen Weg – den Weg nach vorne.

Und so entschieden wir uns dem Land zu helfen. Der Wirtin, die ihrer Lebensgrundlage beraubt wurde, den Menschen in ihrer schieren Verzweiflung und den Wachters, die wir am Vortag besucht hatten.

Aufgrund der gestrigen Ereignisse, die ich immer noch nicht richtig verarbeitet habe, entschieden wir als Gruppe, dass nur Theo und ich aufbrechen sollten, die Tochter der Familie Wachter zu heilen. Es waren Ereignisse bei denen Menschen ums Leben kamen, die keine Gefahr mehr darstellten und die sich ergeben hatten, Ereignisse, bei denen man bei jeder Aktion das Gefühl hatte, ein Gegenspieler würde alles daransetzen das Vorankommen der Gruppe zu sabotieren, Ereignisse, die beinahe zu einem Kampf innerhalb des Bundes führten und mir das Gefühl gaben jede Person wäre nicht sie selbst. Es scheint so als ob der Fluch dieses Landes sich auch in den Köpfen der Vernunftbegabten manifestiert. Wir wussten, wir würden noch weniger als zuvor als Freunde der Familie Wachters wahrgenommen werden.

Und so kam es auch. Kaum angekommen versuchte uns der Bedienstete des Hauses bereits trotz der erwähnten Heilung abzuweisen. Natürlich wollten wir nicht gehen, doch unserer Entschlossenheit zum Trotz kam auch Frau Wachters dazu und drohte uns aller Erklärung missachtend mit der Stadtwache. Wir mussten ungetaner Dinge abziehen.

Auf dem Weg zurück zur Taverne beriet ich mich mit Theo um die Tochter, die nicht selbst für sich sprechen konnte, nicht einfach fallen zu lassen und uns mit den Anderen zu besprechen, um an einem gemeinsamen Faden ihres Schicksals zu ziehen. Denn immerhin geht es um Khaless – um Vertrauen. Und so erwähnte ich auch kurz, als ich ihn zu einer gemeinsamen Übung einlud, die Lektion, die ich als Prüfung Maduin mitgab, den mir immer noch sehr suspekt wirkenden Gefährten der Gruppe, der sich selbst Kleriker des Morgenfürstes und der Abenddämmerung nannte – ein Kl‘ast d‘Lathander. Eine Lektion, wie sie in unserer Gemeinde erteilt wird. Eine Lektion verborgen in einer Geschichte, aus der jeder selbst seine ganz eigene Lehre ziehen konnte. Eine Lektion, von der ich kurze Zeit später in der Taverne auch allen anderen erzählte, während ich reichlich des nur noch erhältlichen Traubensaftes bestellte, um die Wirtin zu unterstützen. Natürlich traf meine Vorgehensweise nicht bei allen auf Zustimmung, aber darum ging es auch nicht. Zu schmerzhaft war die Erinnerung in unserer Vergangenheit an das gewesen, was Geheimnisse anrichten konnten. Geheimnisse und ein besessenes Schwert.

Ich werde dich wieder zu Kräften führen, quar’valsharess.

Da für eine erfolgreiche und unerwartete Aktion zur Rettung der Wachter-Tochter Zeit verstreichen musste, entschieden wir Vallaki zu verlassen, um nach dem Wein für die Wirtin zu sehen. Wir nannten ihr unser Ziel, falls uns jemand suchen oder folgen wollte und begaben uns zur hiesigen Kirche um nach Maduin zu sehen und Theo die Beschaffung eines anscheinend ihm wichtigen Gegenstandes beim Pater zu ermöglichen, was ohne Probleme möglich war, denn dieser schien ihm besonders zugetan zu sein. Maduin indes war in tiefen Gebeten und Meditation versunken, wie ich von der Ferne beobachten konnte. Vielleicht trübte wirklich der Fluch mein Urteil über ihn – nur die ungewisse Zukunft wird es zeigen.

Dann war es so weit.

Als wir aufbrachen fiel mir unvermittelt ein, dass wir am Vistani Lager vorbeikommen würden und eine Sehnsucht nach unserer Gemeinschaft überkam mich, daher bat ich die Gruppe einen kleinen Abstecher zu machen, um nach dem Rechten zu sehen und zu meiner Freude waren alle einverstanden. So konnte ich ihnen G‘eldriia, Kestal, Xor und die anderen 10 Mitglieder unserer Gemeinde vorstellen, die sie auch gleich mit offenen Armen empfangen. Es war schön meinen Gemeindenamen Niir’l wieder zu hören, auch wenn ich den Titel, den ich als Namen trage und selbst wählte, achte und respektiere.

 Während Theo ein Ritual praktizierte an dem auch Kestal sehr interessiert schien, lernten wir uns alle ein wenig näher kennen. Ich erfuhr, dass das Geld der Gemeinde noch einige Zeit reichen würde und wir hörten, dass die Tochter des Vistani-Führers anscheinend allein in Richtung des Sees davongelaufen war. Eine Aufgabe für den Rückweg.

Ich berichtete, was ich bisher erlebte und erzählte G’eldriia von der Hoffnungslosigkeit der Bevölkerung und des Landes – wir beide waren uns einig: Man brauchte uns und doch hielt ich G’eldriia vorläufig davon ab, allein loszuziehen. Unsere Gemeinde brauchte sie und ich bin der A’nshal’a d’l’drathir. Es war an mir die Vorhut zu bilden und zu helfen, wo ich konnte. Die Ähnlichkeiten der Bevölkerung hier und der leidenden Drow aus Feryxonis waren erdrückend, ebenso wie die Vorurteile zwischen den Vastani und den Menschen aus Vallaki. Keiner von uns hätte da zusehen können.

Am Ende schloß Theo sein Ritual ab und hatte einen Vertrauten und wir einen Gefährten mehr – eine Eule, die umgehend nach dem Wort für Vernunft und Weisheit Bekea getauft wurde.

Dann wurde es Zeit für den Aufbruch. Bei all den schönen Ereignissen blieb aber ein tiefer Kloß der Traurigkeit zurück. Denn auch G’eldriia hatte keinen Kontakt zu dir, Eilistraee. Der Kontakt zu meiner Jabbress war abgebrochen. Nur die Gewissheit darüber, dass du dich weiterhin zusammen mit Mystra im magischen Gespinst befindest, wo wir dich vor fünf Tagen verlassen mussten, treibt mich voran. Ich werde dich wiedersehen und bis zu diesem Tag werde ich in jeder meiner Waisen nach deinen Tönen suchen. Niemals aufgeben bis du wieder vollständig erstarkt sein wirst, dein Namen wieder hell unter unserem Volk strahlt und ich dich wiedersehe, um es gemeinsam zwischen die anderen friedliebenden Völker Fearuns zu führen. Doch zuerst weiter…

Am Ende machten wir uns nach einem liebevollen Abschied auf unsere Mission zu verfolgen. Wir gelangen kurz vor der Abenddämmerung an einen Fluss und suchten nach einem Lager. Zwei der Freunde Haras – ich kann die Maelthrae immer noch nicht auseinanderhalten – schienen sich ein Wettkampf um den besseren Standort zu liefern, doch am Ende gewann das Glück und der Zufall. Theo erzählte uns, dass er extra für den Anlass der Rast einen Zauber vorbereitet hatte, um uns zu schützen. Es ist schön sie alle zu beobachten, wie sie füreinander einstehen, auch wenn sie lernen müssen, besser miteinander zu kommunizieren.

Aber wer bin ich darüber zu urteilen? Derjenige der sich Jahrzehnte lang selbst aus seiner Gemeinde zurückzog. Nichtsdestotrotz denke ich, ich werde diese unterschiedlichen Charaktere wirklich schätzen und lieben lernen können. Du würdest sie mögen, d’l’olath jallil. Die graziöse aber verunsichert und melancholisch wirkende, junge Arabella. Die von innerer Stärke und Weisheit erfüllte Hara, die es gewohnt scheint Befehle an ihre Freunde zu geben und von ihnen respektiert wird und der sich selbst kennenlernende Theo, der wenn mich nicht alles täuscht, ein dulninuk d’l’velve ist – ein Bruder der Klinge in der alten Kunst unseres Volkes – des Volkes deines Vaters. Eine Kunst ausgeführt durch einen Rivvil. Die Völker scheinen endlich zusammenzuwachsen. Ich hoffe auch unseres findet bald seinen Platz in dieser Gemeinschaft.

Doch zurück. Wir suchten uns Aufgaben, die jeder für sich nachging, und Hara stellte mir zwei ihrer Gefolgsleute zur Unterstützung bei der Jagd. So entkleidete ich mich bis auf die Hose, dem Dhrakta und der Handarmbrust meines Vaters und wir jagten wie es sein sollte. Unterwegs fanden wir die Spuren eines Rehes und einem Rudel Wölfe und folgten ihm. Zu unserem Glück spürten wir es bald auf einer Lichtung auf, doch gerade als ich mich für den Sprung und Stoß mit dem Rapier weit genug genähert hatte, wurde es von dem plötzlich erscheinenden Rudel verjagt, angeführt durch einen Schreckenswolf, und nur dem guten Schuß des Maelthra ist es zu verdanken, dass wir es dennoch erlegten. Nur um uns mit den Wölfen um die Beute zu streiten. Da sie selbst nicht Ziel der Jagd waren, versuchte ich die Wölfe mit Hilfe meines angeborenen Feenlichtes und der Lautstärke einer absichtlich daneben gehenden Donnerwelle der Bassseiten der Zither, die du mir geschenkt hast, zu verjagen, was mir auch bei allen gelang. Bei allen bis auf ihrem Alphatier. Der Schreckenswolf näherte sich mir und grinste – ja lächelte. Ich versuchte ihn zu beschwichtigen in der Ahnung, dass hier etwas nicht ganz stimmte und senkte das Rapier. Versprach ihm, den Tiger vom Vortag vor Augen, einen gerechten Anteil an der Beute um einen unnötigen Kampf zu umgehen mit einem Biest, welches nur seiner Natur folgt. Genau in diesem Moment sprang das Untier vor und ich sah vor meinen Augen, wie sich seine Zähne in meinen Hals bohrten.

Doch dieser wunderschöne, elegante Wolf verschwand. Die Pfeile der Maelthrae gingen ins Leere. Alles was blieb war ein kurzes Lachen im Wind. Nur einer meiner Begleiter sah eine verschwindende humanoide Gestalt. Ein weiteres Rätsel auf unserem Weg.

Wie versprochen teilte ich die Beute gerecht in der Hälfte für beide Jagdrudel und wir nahmen unseren Anteil mit ins Lager zurück.

Dort unterhielten wir uns auch über einen Weg zurück nach Fearun indes Arabella irgendwann von ihrem eigenen Pfad zurückkehrte. Wir hörten von Theo von seiner Ausbildung im Bernsteintempel, dem dort bewahrten Wissen – Wissen auch über Fearun – und erfuhren, dass die Schriftrolle, die er zur Heilung der Wachtertochter nutzen will, auch seinem Master helfen könne, seinem Jabbuk, der wahrscheinlich verhext wurde. Egal wie das mit den Wachters ausgeht. Wir müssen ihm helfen. Nicht nur, weil er vielleicht weiß, wie dieses Wissen hierhergelangt ist und ob man auf dem gleichen Weg auch zurückkann, sondern weil es das Richtige ist.  

Kurz vor der Nachtruhe zogen Theo und ich uns noch einmal ein wenig abseits auf die Straße zum rituellen Schwerttanz zurück. Es ist schön auch in diesen Landen diese Kunst, die Musik und die Schönheit verbreiten zu können. Ich kann nur dafür kämpfen, dass die Hoffnung folgen wird.

Wir zogen uns aus und ich schaute ihm zu und beobachtete seine Technik, während ich ihm eine Vision unserer Vergangenheit schenkte. Eine Vision unserer Übungen und unseres so fordernden und so grazilen, leidenschaftlichen und liebevollen Tanzes. In seiner Vorstellungskraft tanzte er mit dir – er tanzte unterstützt durch seine rituelle Magie sehr gut – und spürte unser Band. Weshalb wir uns auch über die Macht der Liebe, die Stärke von Gefühlen und die Macht, die sie über das Schicksal verleihen, unterhielten. Und dann tanzten wir gemeinsam. Tanzten ohne die Unterstützung von Magie. Tanzten und entwickelten uns, bis wir nicht mehr tanzen konnten – im Gedanken warst du stets dabei. Nun ziehen wir uns in die Sicherheit von Theos Zuflucht zurück. Ich bat an, Wache zu halten und werde die Zeit nach dem ich diesen Eintrag in unsere History of Fall and Rise verfasst habe für unsere Waise nutzen. Ab und zu glaube ich zwischen den Tönen deine Antwort zu hören, doch dann verfliegt sie wieder. Ich hoffe bald wieder mit dir spielen zu können.

Usstan che ol, ussta jallil.

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