Van Richten’s Guide to Ravenloft
Van Richten’s Guide to Ravenloft bringt uns die verschiedenen Formen des Horrors und Orte des Schreckens im Shadowfell näher. Neben einigen neuen Monstern und Antagonist*innen bietet es eine große Bandbreite an neuen Plotideen, Anregungen für NSC und Ideen für dein Rollenspiel. In diesem Artikel erfährst du mehr über diese Publikation.
Horror ist – neben der Detektivgeschichte – wohl eines der am Spieltisch am schwierigsten gut umzusetzenden Themen einer Geschichte im Pen-and-Paper-Spiel. Bei einer Detektivgeschichte können die Hinweise zu dicht oder dünn, zu eindeutig oder zu subtil (oder beides gleichzeitig!) oder die Spieler*innen gar nicht für einen solchen Plot in der Stimmung sein. Dagegen hält die Horrorgeschichte ihre ganz eigenen Fallstricke für motivierte Spielleiter*innen bereit. Wizards of the Coast hat nun in ihrer neuesten Publikation für die fünfte Edition von Dungeons & Dragons ein Werk herausgebracht, das Spielleiter*innen helfen möchte, eine gelungene Horrorgeschichte in ihre Spielrunden einzubauen. Ob Van Richten’s Guide to Ravenloft das schafft oder an den eigenen Ansprüchen scheitert, werden wir im Lauf dieser Rezension sehen.
Grundlegendes – Was und Warum ist Horror?
Ein grundlegendes Motiv umfasst sämtliche Geschichten des Horrors – das der Unsicherheit und des Kontrollverlusts. Eine Horrorgeschichte bringt uns aus unserer Wohlfühlzone und nimmt uns gewohnte Sicherheiten, um die Handlung in Gang zu setzen. Oder, um es anders auszudrücken: Horror ist das (bewusste) Verlassen der eigenen Komfortzone. Glücklicherweise können wir dieses Gefühl des Kontrollverlusts am Spieltisch oder über die momentan seuchenbedingt online stattfindenden Runden in einer kontrollierten Umgebung genießen. Denn des einen Alptraum ist die Unterhaltung der anderen.
Van Richten’s Guide to Ravenloft ist eine breit angelegte Sammlung mit Vorschlägen und Regeln, welche sich mit genau diesem Kontrollverlust beschäftigen. Dabei sollte gleich zu Beginn angemerkt sein, dass dieser Führer zum größten Teil aus Vorschlägen und Ideen besteht. Spieler*innen und Spielleitungen, welche besonders viel Crunch erwarten, dürften hier enttäuscht werden.
Optionen für die Charaktererschaffung
Drei neue Völker für Charaktere werden vorgestellt, der Dhampir, die Hexblood und die Reborn.
Dhampire sind vampirartige Wesen, die nach einer bestimmten Sache hungern, sei es Blut, rohes Fleisch, Träume oder anderes. Obwohl nicht eindeutig klargestellt wird, in welchem Verhältnis sie zu klassischen Vampiren stehen, dürften sie die Option für Spieler*innen sein, welche Vampire spielen möchten.
Hexblood sind Wesen, welche durch die Magie einer Hexe zustande kamen. Sie sind Teil der Feenartigen und beherrschen die Fähigkeit, über einen Teil ihres Selbst (üblicherweise eine Haarlocke) in gewisser Entfernung Telepathie und Fernsicht zu wirken. Darüber hinaus können sie durch ein Ritual eine vollwertige Hexe werden.
Reborn sind Untote, die gestorben sind, aber doch nicht ganz. Welcher Art und welchen Grund dieser Zustand des Untods hatte, wird den Spieler*innen freigestellt – schiefgegangenes magisches Experiment, geglückte wissenschaftliche Forschung, göttliches Eingreifen et cetera. Die Kreatur des Viktor Frankenstein stand hier mit Sicherheit Pate.
An weiteren Charakteroptionen finden sich in diesem Kapitel die Dunklen Geschenke, neue Klassenoptionen, Hintergründe und eine Liste mit einhundert Ideen für horrorlastige Gegenstände.
Dunkle Geschenke sind mögliche Erweiterungen für frisch erstellte Charaktere. Darunter fallen Möglichkeiten wie die Echoing Soul – dein Körper beherbergt eine Seele, die nicht die deinige ist. Vielleicht wirst du aber auch von beständigem Geflüster von dich begleitenden Geistern heimgesucht. Möglicherweise besitzt du eine zweite Haut, die du nach Belieben an- und ablegen kannst? Oder dein Schatten hat ein Eigenleben entwickelt? All diese (insgesamt gibt es derer acht) dunklen Geschenke bringen die ein oder anderen neuen Fertigkeiten, welche nützlich sind, um in den Domänen des Shadowfell zu überleben.
Bei den neuen Klassenoptionen bekommen die Barden mit dem College of Spirits die Option, Geister zu rufen und Séancen abzuhalten. Sie sind mit den Geistern der Vergangenheit verbunden, um die Probleme der Gegenwart und Zukunft zu lösen. Die Warlocks hingegen erhalten mit dem Untod einen neuen Patron, dem sie dienen können. Leider sind das auch die einzigen beiden Klassen, die eine Ergänzung erhalten, was etwas mager ist. Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Buch voller Ideen und Kreativität steckt, ist das schade.
Fünf generisch gehaltene Hintergründe bieten neue Optionen für frisch generierte Helden, sich mit einem tragischen Ursprung zu versehen. Ob man jedoch als Erbe, als Medium, Überlebender eines Traumas oder Reisender beginnt, ist regeltechnisch nicht relevant, da die Ideale sowie positiven und negativen Eigenschaften deines Charakters durch umfangreiche fakultativ zufällige Tabellen bestimmt werden. Hier fällt einem auch gleich eine neue Designphilosophie bei Dungeons & Dragons auf – die klassischen Gesinnungen wurden hier nicht mehr angewendet. Wurden in früheren Publikationen noch diverse Ansichten mit Eigenschaften wie rechtschaffen/chaotisch, neutral oder gut/böse versehen, wird dies hier nicht mehr angewendet, ebenso bei den Eigenschaftsübersichten der möglichen Antagonist*innen. Obwohl diese nicht unbedingt notwendig zum Spielen sind, ist es doch ein bisschen schade, da diese Gesinnungen seit den späten Siebzigern Teil des Spiels waren.
Zwei weitere Hintergründe wie „Haunted One“ und „Investigator“ runden die Hintergründe ab. Das Kapitel schließt mit einer hundert Gegenstände umfassenden Liste ab, die sich entweder bei der Charaktererschaffung im Besitz der Helden befinden oder im Lauf des Spiels entdeckt werden können.
Domänen der Furcht
Van Richten’s Guide to Ravenloft bietet in diesem Kapitel Ideen, den*die Beherrscher*in seiner eigenen dunklen Sphäre mit einer Geschichte, Zielen und Besonderheiten auszustatten. Wie es bereits Tracy Hickman ausdrückte, als er den Charakter Strahd von Zarovich für die originale Version des Moduls Ravenloft schrieb, sind gute Antagonist*innen viel zu schade, um ihnen keinen eigenen erinnerungswürdigen Charakter zu verleihen.
Eigenartigerweise betont das Kapitel ebenfalls, dass ein Darklord – so die Bezeichnung dieser jeweils eine eigene Domäne beherrschenden Antagonist*innen – unwiderruflich böse und verloren ist, was sich mit der Auflösung der Eindeutigkeit der Gesinnungen im Rest des Buches widerspricht. Das Kapitel bietet eine Fülle an Ideen, den Darklord besonders sowie interessant zu gestalten.
Da jeder Darklord eine eigene Domäne des Schreckens beherrscht, setzt das Buch mit einer Besprechung unterschiedlicher Formen des Horrors fort. Body Horror, kosmischer Horror, Dark Fantasy, Folk Horror, Geistergeschichten und Gothic Horror erhalten jeweils Listen mit Monstern, Ideen und Vor- und Ratschlägen, wie man diese spezifische Art des Horrors spannend am Spieltisch übermitteln kann. Die Genres Disaster Horror, okkulte Detektivgeschichten, psychologischer Horror und Slasher Horror werden am Ende kurz in jeweils einer halben Seite abgehandelt.
Die Ideenfülle ist durchaus beeindruckend, leider widersprechen sich die Ratschläge teilweise drastisch – so rät das Buch im Abschnitt zur Dark Fantasy: „If a domain holds no place for hope, there’s also little call for resistance and meaningful plots“. Und das direkt neben Genres wie dem Disaster Horror mit seinen kataklysmischen Ereignissen wie einer Zombieapokalypse oder dem Verlöschen der Sonne oder dem Erscheinen der Großen Alten im kosmischen Horror, die einfach das Ende bedeuten. Van Richten’s Guide to Ravenloft möchte hier auf allen Hochzeiten tanzen und jedes Genre abdecken. Ein ambitioniertes Unterfangen, das nur mit einer gewissen Beschränkung auf die einzelnen Genres Gültigkeit beanspruchen kann. Dennoch sind die einzelnen Ideen und Vorschläge in den Abschnitten eine tolle Fundgrube für Spielleitungen.
Die einzelnen Domänen von Ravenloft
Nachdem allgemeine Vorschläge zur Ausgestaltung des jeweiligen Typus von Horror gemacht wurden, setzt das Buch mit der Beschreibung einzelner bespielbarer Welten fort. Diese sind ausformulierte Spielwiesen, die sich mehr oder weniger stark auf die Inspirationen aus dem vorangegangenen Kapitel beziehen.
Barovia ist die mit Sicherheit bekannteste Domäne in dieser Auflistung. Regiert vom Posterboy des Buches, Strahd von Zarovich, wurde diese Welt bereits zwei Mal in den letzten Jahren neu aufgelegt. Einmal neu für die fünfte Edition von Dungeons and Dragons, und erst letztes Jahr wieder in einer neuen und teuren Sonderedition.
Die anderen Domänen folgen jeweils einem anderen Thema – so ist Bluetspur die private Spielwiese eines Gehirns in einem Glas mit Gottkomplex und seiner Mind Flayer, der Karneval eine reisende Gemeinschaft von Darsteller*innen, angeführt von einem unheilig gewordenen intelligenten Schwert. Die Domäne Darkon ist in einzelne Inseln auseinandergebrochen, zwischen denen ein unheimlicher Nebel regelmäßig mehr und mehr Land verschlingt. Die Stadt Dementlieu ist ein dekadentes Schlangennest voller maskierter Intrigen, während die Militärdiktatur Falkovnia längst einer zahlenmäßig absolut überlegenen Zombiehorde zum Opfer gefallen ist und sich nur mehr Reste von Überlebenden in den letzten Städten verstecken. In Hazlan ging etwas mit der Magie furchtbar schief und seitdem sind magische Energien allgegenwärtig und gefährlich für alle Reisenden – Dark Sun lässt grüßen.
Zu jedem dieser (und mehr) Vorschlägen zu Domänen des Horrors gibt es Ideen für Charaktere, Anta- und Protagonist*innen sowie Möglichkeiten, wohin sich der Plot letzten Endes entwickeln könnte. Je nach Art des Horrors, der diese Welt heimsucht, wird das Abenteuer zwangsläufig einen längeren oder kürzeren Verlauf nehmen können. Manche Welten können eben nicht gerettet werden. Aber es kann spannend sein, herauszufinden, wie die Spieler*innen und ihre Charaktere damit umgehen und vielleicht doch eine Lösung finden.
Insgesamt 39 unterschiedliche Domänen werden teils auf mehreren Seiten und teils etwas knapper beschrieben – ein mehr als beachtlicher Umfang. Gruppen, die sich diesen Band zulegen, werden mehrere Jahre damit zubringen, jede Welt auch nur einmal probeweise anzuspielen.
Im Abschnitt „Wanderer im Nebel“ werden die Vistani aus Der Fluch des Strahd sowie weitere namhafte Charaktere beschrieben, auf welche die SC stoßen können, wenn sie eine der Domänen des Schreckens passieren.
Horrorabenteuer leiten
In diesem Abschnitt bietet Van Richten’s Guide to Ravenloft eine Sammlung von Ideen und Vorschlägen, wie man eine Pen-and-Paper-Spielsitzung mit Horrorthematik leiten kann. Neben manchen Offensichtlichkeiten wird betont, dass man seine Spieler*innen, nicht aber ihre Charaktere erschrecken möchte und nach Möglichkeit vor dem Spiel alle Eventualitäten an Triggerfaktoren durchbesprechen sollte. Ja, es gibt eine Checkliste.
Für manche Spielleitungen wird diese Ausführlichkeit etwas vom Überraschungseffekt wegnehmen, wenn man eine genaue Liste erhält, was im Spiel vorkommen darf und was nicht. Andere Spielleitungen haben damit, vor allem mit ihnen noch nicht bekannten Spieler*innen, etwas mehr Sicherheit, um unschöne Überraschungen während dem Spiel zu vermeiden.
Die allgemeinen Vorschläge beziehen sich dann auf Dinge wie abgestellte Mobiltelefone, gedämmtes Licht, unheimliche Musik oder möglichst private und ruhige Spielorte. Des Weiteren wird besprochen, wie man Flüche, Ängste und Fallen sinnvoll ins Spiel einbinden kann. Dazu gibt es noch einen Baukasten für „Überlebende“, eine neue NSC-Klasse in den Varianten Apprentice, Disciple, Sneak und Squire, und wie man sie entsprechend dem Level der Gruppe steigern kann. Damit kann man relativ schnell Spielwerte für einen NSC zu Rate ziehen, falls sie während einem Abenteuer relevant werden sollten. Sie sind allerdings nicht als dauerhafte Begleiter oder Sidekicks gedacht.
Der Abschnitt schließt mit einem kurzen Szenario „The House of Lament“. Diese Geistergeschichte beinhaltet Hintergrund für ein Spukhaus, einige untote Hinterlassenschaften, welche die Charaktere aufklären müssen, und mehrere Séancen, welche durchgespielt werden können. Das Modul ist mit nur einer Villa als Ort recht übersichtlich, bietet für einen Spielabend aber genug zu er- und überleben. Eine nette Ergänzung. Das im Anhang des Buches beigefügte Spirit Board findet hier seine Anwendung, um die Séancen auszuschmücken.
Die Monster aus dem Dunkel
Kein Ergänzungsband für Dungeons & Dragons wäre ohne die Monster vollständig. Neben den bereits im Monsterhandbuch und anderen Erweiterungen angeführten und je nach Art des Horrors gelisteten und vorgeschlagenen Monstern finden wir auch hier neue Abscheulichkeiten, welche überwunden werden müssen.
An besonderen Monstern finden wir hier außerirdische Pflanzen, welche die Körper ihrer Opfer übernehmen und ersetzen, knochenlose untote Hautsäcke – die Skelette haben schließlich ihre Hüllen aufgegeben, und Untote sind Meister der Wiederverwertung. Gehirne im Glas, Einrad fahrende Puppen, kopflose Reiter und reiterlose Köpfe (nichts wird verschwendet), Jiangshi (untote Wiederkehrer, die sich an einem Unrecht rächen wollen), Loup Garous, Necrichors (Untote im Glas) und Nosferatus sowie ein paar weitere Monster dürfen ebenfalls nicht fehlen.
Besondere Aufmerksamkeit unter den vorgestellten Monstern verdienen noch zwei Gruppen: die Priester des Osybus und die Inquisitoren von Ulmist. Die Priester sind laut Hintergrund ein Zirkel absolut böser und verdorbener Nekromanten. Das kommt allerdings wieder „nur“ im Hintergrund vor. Gemeinsam mit den ebenfalls in diesem Band vorgestellten Inquisitoren erweitern und ergänzen sie die Hintergrundgeschichte des Strahd von Zarovich. Schlussendlich bietet das Sternengezücht sowie Zombies in unterschiedlichen Geschmacksrichtungen Möglichkeiten für die Spielleitung, die Kampagnenwelt zu beenden, wenn die Tarrasque schon zu gewohnt sein dürfte.
Es dürfte kaum eine Spielleitung geben, welche hier nicht das ein oder andere für sich herausfischen könnte. Die Anzahl und die Verschiedenheit der vorgestellten Gegner ist hier definitiv zufriedenstellend und wird seine Zeit benötigen, alle zumindest einmal ausgespielt zu haben.
Erscheinungsbild
Van Richten’s Guide to Ravenloft gleicht sich in seiner Aufmachung sehr den anderen Publikationen wie Tasha’s Cauldron of Everything oder Tales from the Yawning Portal. Die Bilder sind sehr bunt, eher ins Comichafte gehend. Die Seiten sind relativ fest und die Bindung wie in allen anderen Büchern, die ich erworben habe, mit einer stabilen Bindung.
Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen und wunderschön illustrierten Karten. Leider sind sie mit jeweils einer halben A4-Seite oder noch weniger groß etwas klein geraten. Die ein oder andere Karte im A4-Format oder auf einer Doppelseite gedruckt wäre natürlich noch schöner gewesen.
Ein umfangreicher Index lässt die einzelnen Abschnitte schnell finden. Der einzige Anhang ist das bereits erwähnte Spirit Board zur Unterstützung von Séancen. Die Schriftgröße und -art ist durchwegs angenehm zu lesen. Der Band erscheint in zwei Varianten. Die erste präsentiert den ersten Vampir Strahd im Kampf mit dem Autor des Buches, van Richten. Die Luxusausgabe lässt Strahd etwas in den Hintergrund rutschen und hat Ezmeralda d’Avenir im Vordergrund.
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