Warnung aus der Tiefe (The Outbreaks)

Aus dem Reisetagebuch von Aeckert Gimmstein

Die Fahrt zu den Purple Rocks verging ereignislos. Das Kriegsschiff der Zentarim, mit dem wir um die Wette segeln scheint entweder unsere Fährte verloren zu haben oder wir haben es abgehängt. Mit ‚Wir‘ meine ich in diesem Fall die Koalinth, die Kelpie’s Kiss ist zwar per Portal mit der Koalinth verbunden, aber wir segeln außer Sichtweite voneinander, um keinen Verdacht zu erregen und einfach um die Reise zu verkürzen, die Koalinth ist ein mächtiger Kahn und trägt eine beachtliche Ladung an Truppen, aber kann mit der Schnittigkeit und Wendigkeit der Kelpie’s Kiss nicht mithalten, deswegen fährt die Kiss als ein Erkundungsschiff voraus und warnt uns, falls wir auf Gefahren stoßen. Es ist frustrierend, der langsamste Teil des Zuges zu sein, aber die Koalinth hat ihre Vorzüge. Kurz vor unserer Ankunft sind wir in einen schrecklichen Sturm geraten, der uns ordentlich durchgerüttelt hat, aber unser Schiff ist zu breit und zu schwer um zu kentern.

Während der Fahrt habe ich natürlich meine Pflicht als Historiker getan und das Wissen der Seeleute gesammelt und niedergeschrieben. Eine der Geschichten, die mir dabei ins Auge gestochen war und meiner sonst so zynischen Seele tatsächlich etwas Hoffnung gemacht hat, war die Rettung von Amanitas. Ich habe sie in meinen offiziellen Journal unabhängig von diesem privaten Tagebuch aufgeschrieben und werde sie hier nicht wiederholen. Der Punkt der Geschichte ist jedoch von Wert für unsere Situation: Die Purple Rocks haben eine lange und traditionsreiche Geschichte des Widerstandes gegen die Zentarim. Ich hoffe darauf aufbauen und eine Verbindung zu den Leuten hier herstellen zu können, um uns Ressourcen für den bevorstehenden Kampf zu sichern.

Den Kampf sah ich auf diese Weise voraus: Ein Gefangenenboot, das sich auf offener See versteckte musste zwangsweise Nahrungsmittel und Frischwasser aufnehmen. Der Hafen Trisk, den wir ansteuerten stellte die einzige Versorgungsmöglichkeit in den nächsten 150 Seemeilen dar. Das Schiff, nach dem wir jagten war magisch nicht aufzuspüren und dadurch auch nicht per Teleport zugänglich. Daraus konnte der geduldige Jäger schlussfolgern, dass das Boot selbst, oder zumindest jemand in seinem Auftrag in Trisk früher oder später in Trisk anlegen würde. Es galt denjenigen dann nur noch zu identifizieren und ihn zu seinem Lieferpunkt zu folgen. Wenn das einmal geschafft war, müsste man das Schiff nur noch kapern und den Riesenkönig sicherstellen.

Während wir uns im Crow’s Nest, dem bestbewertetsten Speis- und Trinklokal in Trisk über die Umstände und Methoden der Jagd unterhielten, hatte ich Gelegenheit mich endlich ein wenig mit der einzigen unter Meister Wildfires anderen Begleitern auszutauschen, mit der ich bis jetzt sehr wenig Umgang hatte: Die Draugaelfir – Drow in ihrer eigenen Sprache oder sehr prosäisch Dunkelfen unter den Menschen und Halblingen – Kisa’ana stellte sich als eine Frau mit Erfahrungen in der Jagd heraus und wir kamen gemeinsam auf einen ähnlichen Schluss, wenn auch auf unterschiedliche Denkweisen. Sie erklärte ihren Zugang mit einem Vergleich zur Tierwelt, ein Bär oder Hirsch oder ähnliches Wesen würde immer zu den selben Wasserquellen oder den selben Jagdgründen zurückkehren und dort seine Spuren hinterlassen. Ich selbst stützte mich in meinen Ausführungen auf ein Prinzip aus der Geschäftswelt, in der ich lange Zeit zuhause war: Follow the money.

Ironischerweise war der Konsens zu dem wir gekommen sind im Nachhinein betrachtet völlige Zeitverschwendung. Denn gerade als wir uns auf einen Plan geeinigt hatten und dabei waren, eine Aufgabenteilung anzugehen, stürzte eine verschrobene blinde Frau herein und unterbrach unser Gespräch. Sie offenbarte sich als eine Art primtives Stammesorakel, wie es die Menschen so weit im Norden in ihren Siedlungen halten, um den Launen des Wetters und des Meeres Herr zu werden. Diese Blinde jedoch hatte einen sehr viel tiefgründigeren Einblick in unsere Situation als irgendeine einfache Dorfhexe oder Tempeldienerin es haben, auch wenn es anhand ihrer ersten Worte an uns schwer zu glauben war. Das große Böse aus der Tiefe streckte seine langen Arme nach uns aus. Oder so ähnlich, ich habe ihren wirren Warnungen erst Aufmerksam geschenkt nachdem ich selbst einen Blick auf ihre Orakelknochen geworfen habe. Dann wurde alles klar.

Ich schreibe nicht gerne über die Ausrichtung meiner mystischen Studien. Die Schule der Erkenntnis wird unter meinen Kollegen eher weniger geschätzt, wohl einfach weil ihr die rohe spektakuläre Durchschlagskraft einer Hervorrufung oder Beschwörung fehlt, wie sie zum Beispiel Meister Hornblade praktiziert. Magie ist furchtbar konservativ, wenn ein Zauberspruch nicht direkt die ungebildeten Massen in Gaffen und Staunen versetzen kann, oder ihnen das Fürchten lehrt, ist er für fantasielose Geister wie den oben genannten Meister Hornblade nutzlos. Ohne arrogant zu klingen, ohne meine Meisterschaft in der Disziplin der Erkenntnis würden wir jetzt noch verzweifelt nach Spuren unserer Beute suchen und dabei wertvolle Zeit vergeuden. Der Übeltäter hinter der Verschwörung wurde mir als Slarkrethel offenbart, der tausendjährige Kraken-Zauberer und Auserwählter der Umberlee. Seine Kultisten hielten den Riesenkönig auf einem Schiff gefangen, das im Antlitz ihres Meisters gebaut wurde, Fangarme miteingeschlossen, und das halb unter die Wellen getaucht über die Spurlose See segelt. Weiters offenbarte mir die Vision auch, wo wir eben dieses schreckliche Gefährt antreffen würden.

Und so lichteten Anker und hissten die Segel, zur letzten Etappe unserer schwierigen und wirren Reise.

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