Wesir ibn Drale
„Was immer du tust. Lass dich nicht erwischen.“ Das waren die letzten Worte seines Vaters, kurz bevor der Henker den Boden unter seinen Füßen wegzog und mit einem Ruck das Seil um seinen Hals straff wurde.
Diesen Moment wird Wesir nie vergessen. Aufgewachsen in Amn unter der Herrschaft von Handelsprinz Hazruban von Nedia, erlebte der Waise Wesir eine Zeit der Finsternis auf den trockenen, sonnigen Straßen von Athkatla. Am Anfang war die Bettlergilde sein zu Hause. Es waren kaputte Hütten in den Slums am Stadtrand und in den Gassen der zwielichten Gegenden. Dort rauften sich die Kinder unter dem Ältesten zusammen und stahlen alles, was nicht niet- und nagelfest war. Natürlich musste der Älteste das nicht mehr tun und organisierte lediglich alles, in dem er die Aufträge von größeren Personen annahm, aber seinen Anteil wollte er dennoch haben. Und wer sich nicht fügte, wurde verprügelt. Bei jedem Raubzug hielt sich Wesir an den letzten Satz von seinem Vater. „Lass dich nicht erwischen.“ Seine Freunde, liebevoll die Ratten genannt, brachten ihm dafür alles wichtige bei. Die Jahre zogen ins Land und Wesir Ibn Drale erlernte das Diebeshandwerk.
Jetzt schwor er sich aus diesem Drecksloch auszubrechen. Frei vom elendigem Leben eines Bettlers und Tunichtguts. Ein letztes großen Ding durchziehen und dann weg vom Pack. Es wurde Nacht und das ausgespähte Haus bestand aus Naturstein. Es war beeindruckend mit seinen Säulen verzierten Eingang. Zudem waren Eisengitter an den hohen Fenster befestigt. Es gab nur eine Ungereimtheit, die ins Auge fiel. Warum gab es für solch ein prächtiges Haus keine Wachen und warum hatte nur er diesen Auftrag erhalten? Er schob die Gedanken beiseite und schlich an der geputzten Mauer entlang. Die Zeit war günstig, Wolken verdeckten den Mond und wiegten den jungen Wesir in ein sicheres Gefühl. Ein kurzes Stoßgebet zu Waukeen, der Göttin des Handels, und einen Kuss auf ihre Münze verschafften ihm die nötige Ruhe. „Lass dich nicht erwischen.“, ging es ihm durch den Kopf. Langsam schlich er weiter zur Haustür. Keine Spuren von Wachen und ihren Spürhunden. Wie eine Ratte bewegte sich Wesir und prüfte die Luft. Er konnte keine Falle ausmachen. Das Schloss erwies sich mit seiner Erfahrung als Kinderspiel. Die Tür schwang auf und der Weg war frei. Im Eingang schmückten Wandteppiche von den neun Handelsprinzen den Raum. Der Boden war gefliest und die aufsteigende Kälte, die er mit jedem Schritt seiner nackten Füße bemerkte schüttelte ihn jedes Mal. Das kannte Wesir nicht. das war er nicht gewohnt. Es ärgerte ihn zugleich, denn es behinderte seine Bewegungsfreiheit. Er wusste sich nicht anders zu helfen als noch schneller zu werden. Er spurtete zur Treppe und sprang auf die erste Stufe. Sie fühlte sich warm, aufgeheizt vom Tag, an. Seine Nerven beruhigten sich und er dankte Waukeen im Stillen, für sein schnelles Handeln. es ging weiter die Treppe hinauf. Was sollte er nochmal stehlen? Wesir überlegte eine Weile während er sich umschaute. Das war wirklich ein herrschaftliches Haus. Wer hier wohl wohnte? Ach ja! Es fiel ihm wieder ein. Hier sollte es Schriftrollen geben, die der Älteste haben wollte. Er kratzte sich am Flaum seines Bartansatzes. Er hatte noch nie Schrift geklaut, wo man die aufbewahrt? Er musste suchen und ein leichter Seufzer entfuhr ihm. Oben angelangt blickte er nach links und rechts. Es war ein langer Flur zu beiden Seiten und man konnte von Oben den Eingang, durch ein Geländer gesichert, sehen. An beiden Enden waren Durchgänge auszumachen. Wenn er hier oben nichts finden würde und musste er unten nochmal schauen. er hatte nur diese eine Nacht. Wesir ließ seine Münze flippen. Der Kopf war nach links ausgerichtet. Würde es Kopf werden so würde er diese Richtung einschlagen. Würde die die blanke Seite erscheinen nach rechts. Blöd nur, dass es dunkel und der Mond verdeckt war. Er flippte die Münze und konnte sie nicht fangen. Sie kam mit einem dumpfen Klimpern auf dem Boden auf. Wesir fluchte und begab sich auf alle Viere. Er musste seine Münze finden. Er scholt sich für sein dummes Handeln und so bekam er auch nicht mit, wie ein Licht am Durchgang erstrahlte. „Wen haben wir denn hier?“, sprach eine weibliche Stimme. Erschrocken blickte Wesir auf und zuckte schnell wieder zusammen. Er hatte in das Licht geschaut. Mit erhobenen Händen kroch er schnell zurück hinter eine Kommode, die im Gang stand. „Oh, eine kleine ängstliche Ratte also?“, kam es eher amüsiert von der weiblichen Stimme. Sie schien sich nicht bewegt zu haben. Langsam passten sich seine Augen an die neue Helligkeit an und er sah ein junges Mädchen. er schätzte sie kaum älter als sich ein. Diese Begegnung sollte sein Leben verändern, denn vor ihm stand die junge Erliza, später genannt die Blutige und er wurde ihre rechte Hand und Geliebter. Aber das ist eine neue Geschichte.
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