Die Dynastie des Bösen (4/?) – Calebs späte Rache? (The Sainted Sinners)

Die Dynastie des Bösen (4/?) - Calebs späte Rache? (The Sainted Sinners)Die Dynastie des Bösen (4/?) – Calebs späte Rache? (The Sainted Sinners)

Am frühen Vormittag kamen die erschöpften Helden endlich ans Tageslicht hinaus. Anskaviat richtete das Wort an Halaea, und fragte sie, ob sie eigentlich den Barren aufgehoben hatte, zu dem der Silbermensch geworden war. Halaea bejahte dies, und versprach Anskaviat, ihm den Barren in Mulptan zu überlassen, das neue Reiseziel, auf das man sich zuvor geeinigt hatte, nachdem sie noch laut festgestellt hatte, dass es sich bei dem Barren um ein nicht identifizierbares Metall handele, dem aber in alten Zwergenlegenden beeindruckende Fähigkeiten nachgesagt würden.
Nach einem kräftigen Mahl und einem kleinen Marsch weg vom Eingang der Höhle wurde es Zeit, sich zur Ruhe zu legen. Es wurde beschlossen, Wache zu halten, und Anskaviat meldete sich freiwillig um die erste Schicht zu übernehmen. Er stellte sich in voller Rüstung auf und präsentierte sich dem Mondschein. Abgesehen von einigen verdutzten Blicken, gingen die Gefährten nicht weiter auf dieses sonderbare Verhalten ein, solcherlei war man ja gewöhnt, und alles legte sich schlafen. Nach einer Stunde durchfuhr Anskaviat ein wohliger Schauer, und er fühlte seine Wunden heilen. Begeistert von diesem Ereignis beschloss er nach seiner Schicht, den Rest der Nacht im Mondlicht zu schlafen.

Am nächsten Tag wollte die Gruppe, wie besprochen, nach Mulptan aufbrechen, Mofa bot an, Reittiere zu beschwören, Halaea schickte sich an, auch ihr Pferd zu rufen. Als es auftauchte, schien es jedoch seine Herrin nicht zu erkennen. Es tänzelte nervös und blähte die Nüstern. Nach einigen Minuten gutem Zureden, beruhigte es sich schließlich und die Gruppe setzte sich in Bewegung.

Die nächsten Tage geschah nichts weiter, außer dass Halaea am vierten Tag der Reise einen seltsamen Traum gehabt zu haben schien, den sie jedoch nicht mit ihren Gefährten teilte.
So vergingen die Tage und das Land flog unter den Hufen der Pferde nur so dahin.
Der Morgen des neunten Tages war bewölkt und trüb. Die Gruppe machte sich wie üblich zum Aufbruch bereit und ritt den Vormittag durch, bis plötzlich gegen Mittag eine Gruppe Reisender erschien. Sie ritten auf unsere Abenteurer zu.
Als sie etwas näher heran gekommen waren, war Mofa in der Stimmung, sich mit den Reisenden ein kleines Späßchen zu erlauben, und ließ sein Pferd unsichtbar werden. Sofort brach große Unruhe aus. Die Gefährten vermuteten natürlich schon ein derartiges Manöver und Halaea und Anskaviat rollten nur demonstrativ die Augen gen Himmel, während Tahwyn vergnügt glucksend hinter Halaea auf ihrem Pferd saß. Die Reisenden, die sich inzwischen als die zehn Mann starke Leibgarde eines Klerikers des Latandes herausgestellt hatten, zogen sofort ihre Schwerter und vermuteten in Mofa einen Dämonen. Nach einigen Minuten gelang Halaeas Versuch, die Reisenden zu besänftigen, Mofa erntete jedoch immer noch giftige Blicke. Nach einem kurzen Wortwechsel trennten sich dann die Wege der zwei Gruppen.

 

Am Abend des selben Tages, erreichten die Gefährten die Tore von Mulptan.

Auf den ersten Blick erschien die Stadt in gutem Zustand, nicht mehr oder weniger von Leid und Unruhen erschüttert als sonst auch.
Nach einer kurzen Befragung der Wachen bestätigte sich dieser Eindruck. Die Gruppe beschloss, in einer Taverne einzukehren und machte sich auf die Suche. Bald war auch schon eine passende Unterkunft gefunden, und Halaea nahm in bester Zwergenmanier sofort die Theke ins Visier. Tahwyn leistete ihr noch kurz Gesellschaft, während die anderen schon auf ihre Zimmer verschwanden, um sich von der anstrengenden Reise zu erholen. Auch Wilbur verschwand, jedoch nicht auf sein Zimmer. Zwei Stunden später wurde ein kleiner Zettel unter Anskaviats Tür hindurch geschoben, auf den Wilbur eine kleine Nachricht gekritzelt hatte. Er hätte nach dem Frühstück eine kleine Überraschung für Anskaviat vorbereitet, um sich erkenntlich zu zeigen. Sich langsam von dem Schock erholend, ging Anskaviat nun auch schlafen. Währenddessen hatten die beiden Mädels in der Taverne noch Spaß. Halaea orderte eine Zwergenbowle, ein teuflisches Getränk bestehend aus dem stärksten Schnaps, Wein und Bier, die eben aufzutreiben sind. Nach einem ordentlichen Humpen waren dann schließlich auch diese zwei für den Tag bedient und gingen auf ihr Zimmer.

Am Morgen des ersten Tages in Mulptan trennten sich die Wege der Gefährten. Wilbur und Anskaviat gingen zusammen in ein gewisses Etablissement und verbrachten ein sehr angenehmes „Wellness-weekend“, wie der Rest der Gruppe durch einen Boten erfuhr und sollten auch erst in zwei Tagen wieder auftauchen.
Mofa beschloss, sich einen Tag in sein Zimmer zurückzuziehen, und einen neuen Zauber zu erlernen. Eibenstein tat es ihm gleich und studierte seine Runen.
Halaea lud Tahwyn ein, mit ihr einige Tempel der Stadt zu besuchen, um eventuell mehr über den Fluch zu erfahren, mit dem die Gruppe im letzten Dungeon belegt worden war, und einen Weg zu finden, diesen wieder loszuwerden. Erfreut über diese Einladung nahm Tahwyn an, die zwei wollten außerdem bei der ortsansässigen Schmiede vorbei schauen, um Halaeas Ausrüstung aufzustocken. Dies taten sie dann auch.
Während Halaea bei dem Schmied auf die Fertigstellung ihrer Ausrüstung wartete, beschloss Tahwyn, sich ein wenig in der Stadt umzuhören. Da der Maktplatz nicht fern war, machte sie sich auf den Weg dorthin. Schon bald hörte sie das laute Rufen der Marktschreier, die empörten und feilschenden Händler und Käufer, das übliche Getümmel eben. Plötzlich wehte ihr ein vertrauter Geruch in die feine Gnomennase. Ohne lange zu fackeln, folgte sie der verheißungsvollen Duftspur. Sie sollte nicht enttäuscht werden. Tatsächlich stand dort, am Rande des Marktplatzes, ein kleiner Waldgnom, der sich eifrig an seinem Ofen zu schaffen machte, und augenscheinlich grade Kräuterbrot herstellte. Entzückt trat unsere Gnomin näher, und war alsbald in eine anregende Unterhaltung mit dem Bäckerlein vertieft. Karl, wie er sich vorstellte, freute sich außerordentlich, endlich mal wieder ein anderes Gnomengesicht zu sehen und erzählte freudig von seinen Abenteuern. Einen Monat zuvor sei er durch ein kleines Dorf gereist, in dessen Nähe ein äußerst seltsames Wesen gesichtet worden sein sollte. Bald entpuppte sich dieses als der Wurm, den die Gefährten vor einigen Wochen in Unirea besiegt hatten. Außerdem sei ihm zu Ohren gekommen, dass vor ungefähr zehn Tagen in Mulptan ein Mann auf scheinbar mysteriöse Weise ums Leben gekommen wäre. Er sei ein unbeliebter Mensch gewesen und hätte wohl anderen Leuten Geld für sein Schweigen abgenommen. Ansonsten erzählten die beiden noch ein wenig von der Heimat, dann bedankte Tahwyn sich für die spannenden Geschichten und das äußerst leckere Brot und brach auf, um Halaea von der Schmiede abzuholen, die unterdes zwei Turmschilde und eine neue Rüstung erworben hatte.

Gemeinsam machten sich die zwei nun auf den Weg zum nächstgelegenen Tempel. Dort mussten sie aber feststellen, dass alle hohen Kleriker gerade in einer Versammlung steckten, die sich noch über Tage hinziehen würde. Als sie jedoch einem sehr hilfreichen Novizen ihr Problem und Anliegen schilderten, erinnerte dieser sich an einen Bekannten, der einmal von etwas ganz ähnlichem erzählt hätte. Er erkundigte sich nach der Unterkunft unserer Abenteurer und versprach, dass sein Bekannter noch am selben Abend nach ihnen schicken lassen würde.
Nach dieser Unterhaltung suchten Tahwyn und Halaea noch einige andere Tempel in der Stadt auf, fanden aber nur heraus, dass alle Kleriker bei der Versammlung seien und man ihnen nicht weiterhelfen könne. Schließlich kehrten die zwei zu ihrer Taverne zurück, und vertrieben sich den Rest des Nachmittages im Schankraum.

Am späten Nachmittag erschien ein Mädchen in der Taverne und fragte nach Halaea. Die Kleine war recht schüchtern, trug unauffällige Kleidung und schien gepflegt zu sein. Ein Gratisessen nahm sie gerne an, und erzählte der Zwergin und der Gnomin, dass sie sie zu Ninon bringen solle. Dieser würde sie zu dem Mann führen, der ihnen eventuell bei ihrem Fluchproblem behilflich sein könnte. Tahwyn lief sogleich hoch zu den Zimmern, um Mofa zu benachrichtigen, Eibenstein wollte sie bei seinen Studien nicht stören. Mofa begleitete sie hinunter in den Schankraum, nur um wenig später zu erfahren, dass der Mann, zu dem sie gebracht werden sollten, Gesellschaft nicht sehr schätze und das Mädchen daher den Auftrag hatte, nur ein bis zwei Personen mitzubringen, und sich grummelnd wieder in sein Zimmer zurückzuziehen. Nachdem das Mädchen sein Essen verschlungen hatte, folgten Halaea und Tahwyn ihr bis an den Rand der Stadt.
Dort trafen sie auf Ninon, einen freundlichen Menschen, der sie weiter von der Stadt weg führte. Schließlich kamen die drei auf einem Hügel an, auf dem eine kleine Kapelle und ein Friedhof gelegen waren. Halaea konnte, außer der zu erwartenden leicht düsteren Aura des Todes, nichts Böses erspüren, also folgten die zwei Gefährten Ninon in eine der Gruften hinein.
Dort führten Treppen hinunter ins Dunkle. Vor ihnen eröffnete sich ein Raum mit einigen Särgen darin, ein besonders großer Sarkophag prangte inmitten dieser doch leicht unheimlichen Ansammlung. In ihm führte eine weitere Treppe tiefer in den Hügel hinein. Als die drei die Stufen betraten, schlug ihnen sofort ein unappetitlicher, modriger Geruch entgegen. Die Wände waren mit schleimigem Moos und Flechten bewachsen, die Stufen glitschig und die Luft feucht und abgestanden. Aus dem größeren Gang, zu dem die Treppe führte, drangen ein noch unappetitlicher Geruch, Stöhnen und Schlurfen hervor. Halaea konnte immer noch nichts Bösartiges entdecken, also folgten die zwei Damen ihrem Begleiter den Gang entlang und stellten fest, dass sowohl der Geruch, als auch die Geräusche von einer Horde Zombis kamen, die offensichtlich vor einer Tür am Ende des Ganges Wachen hielten. Sie kamen den drein nicht näher als zwei Armeslängen und hielten sich an den Rändern des Tunnels. An der Tür angelangt, erklärte Ninon, dass nur einer der beiden Abenteurer eintreten könne. Halaea zupfte sich kurz ihre Rüstung zurecht, murmelte ein Stoßgebet zu Moradin, und trat ein.

Hinter der Tür befand sich ein heller und freundlicher Raum, der mit mehreren Bücherregalen und einem Schreibtisch ausgestattet war. Hinter dem Schreibtisch saß, vom Kerzenlicht erhellt, ein Mensch. Er war in eine dunkle Robe gekleidet, ganz nach Magierart, und schaute Halaea nicht unfreundich an. Nach einem kurzen Wortwechsel, hatte Halaea Dalamar, wie er sich inzwischen vorgestellt hatte, von dem Problem der Gruppe berichtet. Er schien äußerst interessiert zu sein und fing an, Halaea zu untersuchen. Er konnte jedoch nichts Eigenartiges feststellen und bemerkte dann, dass auf der Gruppe wohl kein Fluch mehr liege, oder er ihn, wenn vorhanden, nicht von ihnen nehmen könne. Er habe aber schon mehrfach von solchen Dingen gelesen und gehört und erklärte Halaea, dass diese Art von Fluch aus der dunklen Totenkunst stammt und davon lebt, dass er mit dem Tod eines Verfluchten neu erweckt wird. Da aber glücklicher Weise keiner der Abenteurer ums Leben gekommen ist, bestünde die Wahrscheinlichkeit, dass der Fluch gebrochen worden sei. Gemeinsam entschieden sich die beiden, zur Vorsicht lieber die Kammer zu versiegeln, damit nicht noch jemand dem Fluch zum Opfer fallen konnte.
Tahwyn wurde nun von Halaea in den Raum gerufen und auf den neuesten Stand gebracht. Man verabredete, in vier Tagen gemeinsam nach Unirea zu reisen, von wo aus Dalamar dann alleine dem Tunnel zu der verfluchten Höhle folgen wollte. Nach einer höflichen Verabschiedung verließen die zwei Heldinnen Dalamars Bleibe und machten sich auf den Rückweg zur Taverne.

Der zweite Tag in Mulptan verlief weitestgehend ereignislos. Halaea vertrieb sich den Tag damit, der äußerst begeisterten Gnomin ein wenig Zwergisch beizubringen. Eibenstein blieb abermals zum Studieren auf seinem Zimmer und Mofa begab sich auf die Suche nach einem Federfall-Ring, er hatte den letzten Tag damit verbracht, das Fliegen zu erlernen. Er suchte einige Juweliere auf, einer unterbreitete ihm schließlich ein Angebot. Er könnte einen solchen Ring herstellen, dies würde jedoch ein halbes Jahr dauern und 3.000 Goldmünzen kosten. Da diese Konditionen für Mofa nicht wirklich annehmbar waren, beschloss er erstmal ein wenig Geld zu verdienen und bat den Juwelier um eine Tagesarbeit. Dieser ließ ihn ein Probestück anfertigen, bei dessen Herstellung er jedoch kläglich versagte. Niedergeschlagen von seinem Misserfolg kehrte auch Mofa in die Taverne zurück.

Am dritten Tag versuchte Mofa sich erneut als Schmied und hatte ein wenig mehr Erfolg.
Auch Anskaviat und Wilbur waren von ihrem „Wellness-Weekend“ zurück gekehrt und erzählten dem Rest der Truppe in schillernden Farben von ihren Erlebnissen.
Auch Halaea und Tahwyn berichteten, was sich in den letzten Tagen zugetragen hatte. Anskaviat reagierte sehr verstört auf die Idee, die Höhle noch einmal aufzusuchen und zu versiegeln.
Dann beschlossen die Abenteurer, einmal Eibenstein nach dem sonderbaren Barren zu fragen, den sie erbeutet hatten. Dieser erklärte ihnen, dass es sich um die Überbleibsel einer Kreatur handelt, die „lebender Stahl“ genannt wird. Diese Kreaturen werden anscheinend aus Erzeinlagerungen geboren und lassen nach ihrem Tod ihre Seele zurück, in Form eines solchen Barrens. Dieser Barren sollte die Fähigkeit haben, sich in jeden beliebigen Gegenstand zu verwandeln. Anskaviat, der natürlich sofort neugierig geworden war, versuchte es sogleich. Die ersten zwei Male nahm der Barren kurz die Form des gewünschten Gegenstandes an, sprang aber nach wenigen Augenblicken wieder in seine Barrenform zurück. Beim dritten Versuch hatte Anskaviat jedoch Glück und der Barren verwandelte sich in ein prächtiges Schild, das natürlich sofort auf seine Stabilität geprüft wurde.
Auch Halaea wollte es nun versuchen und wagte sich ebenfalls an die Form eines Schwertes, dies gelang auch. Neugierig geworden, dachte sie den Namen Moradin und versuchte den Barren in eine Form zu bringen. Alles was sie sich dabei einhandelte, waren Kopfschmerzen und das Gelächter der anderen.
Halaea und Anskaviat entschlossen sich nun zu einem Übungskampf, um die neu erworbene Ausrüstung der Zwergin und auch den Barren auszutesten. Dabei stellte sich heraus, dass der Barren sich jedes Mal in seine ursprüngliche Form zurück verwandelte, wenn man ihn aus der Hand legte. Nach einem unterhaltsamen Schlagabtausch ging es dann wieder zurück in die Taverne.

Am Morgen des vierten Tages machten die Gefährten sich zum Aufbruch nach Unirea bereit. Man wollte sich an den Stadttoren mit Dalamar treffen. Mofa beschloss noch ein wenig mehr Zeit mit der Suche nach einem Federfall-Ring zu verbringen und versprach, später zu den restlichen Abenteurern aufzuschließen. Nachdem die anderen abgereist waren, machte Mofa sich auf den Weg zu dem Magierquartier der Stadt. Dort wurde ihm erzählt, dass es eine Person gebe, die einen solchen Ring besitze, diese halte sich zur Zeit in Unirea auf. Also verließ nun auch Mofa Mulptan.

 

Golden_WayNach zwei ereignislosen Reisetagen erreichte die kleine Gruppe Unirea. Ihnen bot sich ein wahrhaft prächtiger und erfreulicher Anblick. Die eingestürzte Taverne war wieder aufgebaut worden, prächtiger denn je. Mofa standen die Tränen in den Augen, Anskaviat und Halaea hüpften vor Freude hin und her. Nach einem kurzen Plausch mit den Wachen erfuhr man, dass es noch weitere Neuigkeiten gab. Die Tunnel, die der Wurm hinterlassen hatte waren gesichert worden und dienten nun als Keller- und Lagerräume. Außerdem hatte sich ein Heiler in Unirea niedergelassen. Das waren wahrhaft gute Neuigkeiten!

Anskaviat, der in Mulptan beauftragt wurde, eben jenem Heiler ein Päckchen zu überbringen, ging davon um dies zu tun.
Unterdessen führte Halaea Tahwyn zu der Pferdekoppel, mit der Bitte, sich doch einmal ihr Pferd genauer anzuschauen. Die Druidin willigte natürlich sofort ein und die Zwergin rief ihr Pferd. Wie schon seit dem ersten Tag an dem die Gefährten aus der Höhle heraus gekommen waren, scheute das Pferd auch jetzt wieder vor seiner Herrin. Es stieg, blähte die Nüstern und tänzelte unwillig und verstört hin und her. Als Tahwyn es fragte, was denn nicht stimmen würde, erhielt sie nur die kryptische Antwort: „Sieht aus wie Herrin, ist nicht Herrin.“ Auch nach weiterem Zureden ließ sich nicht viel mehr feststellen. Offensichtlich roch Halaea nach Tod und Verderben. Betrübt schickte die Zwergin ihr Pferd wieder zurück auf seine Heimatebene und folgte Tahwyn in die Taverne.
Dort trafen die zwei auch Eibenstein, Mofa, Wilbur und Anskaviat wieder. Letzterer hatte Interessantes zu berichten. Als er in einem neu errichteten Turm den Heiler gefunden hatte, wurde er freundlich von einer jungen Frau begrüßt, die ihn bald zu dem gesuchten Mann brachte. Der Heiler stellte sich als sehr freundlicher Herr namens Goa heraus. Er bedankte sich bei Anskaviat für die Lieferung und lauschte gespannt seinen Geschichten. Auch der lebende Stahl schien ihn zu interessieren. Er schlug als Verwendungsmöglichkeiten eine Bärenfalle, einen Helm und einen Tiefschutz vor. Letzterer erregte natürlich sofort die Aufmerksamkeit des Helden.
Außerdem habe er Goa versprochen, nach einigen Männern und vor allen Dingen der Materiallieferung, die sie dem Heiler schon vor zwei Tagen aus Mulptan hätten bringen sollen, zu suchen. Einstimmig beschloss die Gruppe zu helfen und gleich am nächsten Morgen aufzubrechen.
Später wurde noch ein wenig über den Neuaufbau der Taverne geredet. Mofa erzählte zum Erstaunen aller, dass er diesbezüglich keine Anweisungen gegeben hätte und sich selber wunderte, wem er dieses großzügige Geschenk wohl zu verdanken habe. Er sagte, dass ihm ein Zettel überreicht worden sei, auf dem stand: „Dies nur als Vorschuss. Über die Bezahlung reden wir ein anderes Mal. Ein Freund.“ Alle wunderten sich zunächst, aber als der Abend fortschritt störten die Gefährten sich nicht weiter daran. Sie waren froh, endlich wieder zu Hause zu sein, das Bier schmeckte herrlich wie immer und bald war alles in fröhlicher Stimmung.
Später am Abend zeigte Halaea Dalamar, der die Abenteurer nach Unirea begleitet hatte, noch den Eingang des Tunnels, der zu der verfluchten Höhle führen würde. Dalamar bedankte sich, versprach, von sich hören zu lassen und verschwand. Der Rest der Gruppe ließ den Abend noch entspannt in der Taverne ausklingen.

Am nächsten Tag machte sich, mal wieder, alles zum Aufbruch bereit. Als dann aber Halaeas Pferd schon wieder vor ihr scheute, kam den Gefährten die Idee, bei dem neuen Dorfheiler vorbeizuschauen, um Halaea einmal durchchecken zu lassen. Gesagt, getan.
Goa empfing die Gruppe sehr freundlich und untersuchte die Zwergin, konnte aber keine offensichtlichen Verletzungen feststellen. Er sagte nur, dass die Zwergin offenbar ihren „Lebensfunken“ verloren hätte, das würde auch die Reaktion ihres Pferdes erklären. Er gab ihr einen kleinen Beutel mit Medizin und bat sie, sich in einer Woche nochmal untersuchen zu lassen.
Nun machten sich die Gefährten endlich auf den Weg.

 

Nach einigen Stunden entdeckten die Helden schließlich einige sonderbare Spuren am Straßenrand. Es sah so aus, als ob ein Planwagen sehr abrupt von der Straße abgekommen wäre. Nach einigem Suchen wurden schließlich eine mit Ästen getarnte Fallgrube und zwei tote Pferde gefunden. In der Fallgrube lag der Planwagen, ganz so, als ob er hinein gefahren und später versteckt worden wäre. Allen war klar: die Lieferanten waren in einen Hinterhalt geraten, ein sehr gut ausgeführter noch dazu. Die kleine Gnomin bot sich sofort an, in die Grube hinunter zu klettern, und sich den Schaden einmal genauer zu besehen. Sie fand einen einzelnen Schuh, einige Blutspuren und einen Splitter eines milchig-gelben Kristalls. Dieser stellte sich bald als Teil eines Axtblattes heraus. Es bestand auf kristallisierten Pflanzenfasern und konnte selbst von der naturkundigen Tahwyn nicht identifiziert werden. Diese kletterte wieder aus der Grube heraus und berichtete den anderen, was sie gefunden hatte. Halaea stellte fest, dass der Splitter nicht bösartig war, also wurde er eingesteckt.
Nach einigem Herumsuchen fand die Gruppe schließlich Schleifspuren, die von Straße und Grube weg führten. Außerdem wurde die Straße als fallenfrei eingestuft und man konnte sich beruhigt an die Verfolgung der Spuren machen.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit fanden die Gefährten schließlich noch einen abgebrochenen Fingernagel. Wenig später beschloss man, zu rasten, da die sehr feinen Spuren in der Dunkelheit kaum noch zu verfolgen waren, und allle sich vor einem wohl bevorstehenden Kampf noch ein wenig erholen wollten. Zur Sicherheit wurden Wachen aufgestellt, zusätzlich ließ Tahwyn ihre Fledermaus über dem Lager kreisen.
Nach nur kurzer Zeit bemerkte die Fledermaus verdächtige Bewegungen in der unmittelbaren Umgebung und ein verstörender, unbekannter Duft wehte ihr in die Nase. Alamiert verständigte sie sofort ihre Herrin. Schon wenige Sekunden später wurden die Abenteurer von allen Seiten angegriffen.

Anskaviat ließ sich erstmal hinter Mofa zurück fallen, der eine Schar tanzender Lichter erschuf, um unseren Helden einen Blick auf ihre Angreifer zu ermöglichen. Nachdem die Umgebung etwas heller wurde, feuerte Anskaviat einen Pfeil ab und landete einen kritischen Treffer. Halaea rannte in Richtung der tanzenden Lichter, Tahwyn erschuf eine gewaltige Flammenkugel und schleuderte sie auf die Angreifer und endlich konnten die Gefährten sehen, mit wem oder was sie es zu tun hatten. Es handelte sich um riesige Gottesanbeterinnen, die selbst Anskaviat noch um einige Fuß überragten. Sofort wurde Halaea von zwei Tieren gleichzeitig belagert, Mofa und Anskaviat eilten ihr zu Hilfe. Halaea schwang ihre Axt und ließ ein hämisches Grinsen sehen, als sie zielsicher traf. Tahwyn rannte hinter den anderen her und ließ ihren Feuerball erneut auf die drei Angreifer zuschnellen. In atemberaubenden Tempo griffen nun auch die Gottesanbeterinnen richtig an und fügten allen Schaden zu. Schnell stellte sich heraus, dass die Kreaturen über ein Gift verfügten, dass ihre Angreifer lähmen sollte. Nach einem kurzen aber heftigen Schlagabtausch, in dem auch die Gottesanbeterinnen Einiges einzustecken hatten, wurden Mofa und Halaea schließlich von dem Gift in die Knie gezwungen, wenig später ging auch Tahwyn zu Boden, Anskaviat wurde ebenfalls gefangen genommen.

In hüpfender Manier schleppten die Gottesanbeterinnen nun die Gefährten fort vom Kampfplatz auf eine kleine Felsformation ganz in der Nähe zu. Angekommen, fingen die Kreaturen an, die vier mit klebrigen Fäden einzuspinnen, die, wie an der Felswand zu erkennen war, später kristallisieren würden. Während die Gottesanbeterinnen arbeiteten, konnten sich alle Abenteurer stabilisieren. Plötzlich erkannte Halaea, dass neben ihnen noch drei weitere Menschen eingesponnen wurden. Einer von ihnen tot, der andere nur gerade so noch am Leben. Die Gefährten verständigten sich mit Blicken und beschlossen anzugreifen. Tahwyn murmelte eine lautlose Beschwörung und ein riesiger Adler stürzte, zusammen mit ihrer Fledermaus, vom Himmel herab, dieser Überraschungsmoment gabt Anskaviat und Halaea Zeit, sich von den Gespinsten zu befreien. Sogleich fingen sie an, auch Mofa und Tahwyn aus dem Geflecht heraus zu zerren. Mofa schleuderte sofort einen weiteren Feuerball auf die Kreaturen, zwei der Gottesanbeterinnen wurden verbrannt.
Anskaviat rannte mit erhobenem, leuchtenden Schwert auf die letzte Gottesanbeterin zu, holte zum vernichtenden Schlag aus und … verlor die Kontrolle über seine Waffe. Sie flog in einem perfekten Bogen aus seiner Hand und landete ungefähr zehn Meter weit entfernt im Gras. Die Gottesanbeterin holte zum Schlag aus, traf Anskaviat, der zu Boden ging. Der von Tahwyn inzwischen gerufene Hippogreiff stieß auf die Kreatur herab und beendete den Kampf.

Halaea und Tahwyn machten sich daran, die gefangenen Menschen zu befreien, Mofa ging zu Anskaviat hinüber, vergewisserte sich, dass er noch lebte, drehte ihn auf den Rücken und fing an, die Umgebung nach Beute zu durchsuchen.
Tahhwyn besah sich inzwischen die Kreaturen etwas genauer. Sie trugen geflochtene Bänder und hatten Wurfscheiben und Stabklingen aus dem gleichen milchig-gelben Material bei sich, das vorher am Planwagen gefunden wurde. Halaea machte sich daran, die geretteten Menschen zu verarzten und den Toten zu beerdigen.
Ansonsten fanden die Gefährten nichts Interessantes. Es wurde jedoch vermutet, dass sie direkt in das Nest der Gottesanbeterinnen hinein geraten waren und Tahwyn meinte zu ahnen, dass diese Kreaturen aus einer anderen Dimension stammten und eigentlich in sehr viel größeren Schwärmen lebten.
Schließlich beschlossen die Gefährten, an Ort und Stelle ihr Nachtlager aufzuschlagen. Anskaviat stellte sich abermals in den Mondschein und fühlte sich dieses Mal sofort besser. Am nächsten Morgen, der nur wenige Stunden entfernt war, wurden dann die Bewusstlosen eingepackt und die kleine Prozession machte sich auf den Weg zurück zur Fallgrube. Wenig später wurden der Hippogreiff und Tahwyns Fledermaus mit den Geretteten und einer Nachricht zurück nach Unirea geschickt, während die Helden erneut rasteten und auf Verstärkung warteten, um die Heilmittel zu bergen. Gegen Mittag kam dann auch die Verstärkung aus Unirea, und die vier machten sich auf den Weg zurück ins Dorf.

 

Dort angekommen, suchten sie zuerst Goa auf, um sich verarzten zu lassen und ihm die gefundenen Gegenstände zu zeigen. Er identifizierte die Wurfscheiben den Gottesanbeterinnen als „Schatkcha“, wusste aber ansonsten nicht mehr über diese Kreaturen.
Wenig später kam den Gefährten zu Ohren, dass einer der Geretteten sie zu sehen wünschte. Dieser bedankte sich zunächst bei den Helden und erzählte ihnen dann eine sehr interessante Geschichte. Er teilte ihnen mit, dass er von einer Person beauftragt worden sei, eine dritte Person in eine andere Ebene zu verbannen, und dass er aus dieser Ebene fünf Kreaturen entführen sollte, die Gottesanbeterinnen. Er sagte, dass er ihnen dies nun erzählen würde, weil sein Auftraggeber ihn verraten hatte, indem er die Kreaturen auf ihn losgelassen hätte. Der Lehrmeister eben dieses Auftraggebers hieß Caleb.
Die Gefährten waren verständlicher Weise sofort ganz Ohr und konnten nicht glauben, dass Caleb sie schon wieder eingeholt hatte.
Der Gerettete erzählte außerdem noch, dass er ein Zugangspasswort zu dieser Ebene kennen würde, das man genau drei Mal benutzen könne und das bei seiner Benutzung ein ortsgebundenes Portal erschaffen würde.
Grübelnd über die Ereignisse der letzten zwei Tage verabschiedeten sich die Gefährten.

Tahwyn Folkor

Tahwyn FolkorMein Name ist Tahwyn. Tahwyn Folkor.

Ich wuchs in einem kleinen, bescheidenen Dorf auf. Bis zu meinem 30. Lebensjahr verlief mein Leben sehr gewöhnlich. Mein Vater war der Häuptling unseres Dorfes. Ein lustiger Geselle, dem nur wir, seine Familie, wichtiger waren als das gemütliche und sorgenfreie Zusammenleben in unserem Dorf. Ich wuchs auf, spielte in den durch Schatten verborgenen Winkeln unseres Waldes, lauschte den Heldensagen unserer Dorfältesten und verbrachte meine freien Stunden hauptsächlich damit, dem komischen Kauz, der im Bau neben uns wohnte zusammen mit meinem Bruder Streiche zu spielen. Hätte ich es damals schon ahnen können? Vielleicht. Aber wer vermutet schon, dass soetwas geschehen könnte. Noch dazu in der eigenen Familie.

 

Alles fing an einem ganz gewöhnlichen Sommerabend an. Ich saß mit meiner Mutter vor unserem Bau, gerade damit beschäftigt, unsere Vorräte für den Winter durchzugehen und zu überlegen, wie wir wohl den alten Glaend dazu überreden könnten, uns ein paar seiner Kartentricks beizubringen, damit die Herren unserer Familie den Winter über etwas zum Grübeln hätten. Kurzum, ein Abend wie jeder andere. Plötzlich hörten wir laute Geräusche und Gelächter vom anderen Ende des Dorfes, wir konnten nur annehmen, dass grade mal wieder ein unbedarfter Jüngling in eine Falle seiner älteren Geschwister getappt war, und wollten uns den Spaß mit eigenen Augen ansehen. Wir Gnome lieben Streiche über alles, muss man wissen. Wir meinen sie jedoch selten böse, es geht uns eher darum, unser Talent für das Planen subtiler Fallen und geschickter Illusionen zu beweisen. Von daher ist es keine Schande, wenn man bei uns in eine gut geplante Falle stolpert, viel mehr ein Kompliment an den Fallensteller. Also machten wir uns auf den Weg und fanden alsbald den Grund für den Tumult. Am Boden lag mein sieben Winter älterer Bruder, eingeschlungen in ein aus Pflanzenfasern geknüpftes Netz, das offensichtlich durch eine Trittfalle dazu veranlasst wurde, auf den Unglücklichen hinunter zu fallen. Der Anblick war wahrhaft herrlich und die Falle gut gebaut. Ein Meisterstück war sie jedoch nicht. Diesen einfachen Auslösemechanismus lernen bei uns schon die ganz kleinen. Auf Grund dieser Tatsache, die natürlich allgemein bekannt ist, hat mein Bruder sich verständlicher Weise doppelt geschämt, den relativ auffälligen Stolperdraht am Boden, der zwischen zwei Büschen aufgespannt war, nicht bemerkt zu haben. Verschlimmert wurde dieser Umstand nurnoch durch den kleinen, nicht einmal 12 Winter alten Ludoc, der, ganz entzückt über den Ausgang der Geschichte, von einem Bein aufs andere hüpfend vor dem versammelten Dorf herum tanzte. Für ein paar Minuten herrschte heiteres Gelächter, während mein Bruder sich mühsam aus dem Netz zu befreien versuchte. Bald schon kamen ihm einige seiner Freunde zu Hilfe und gemeinsam gelang es ihnen dann endlich, den Pechvogel wieder frei zu bekommen. Währenddessen wurde Ludoc herzlich beglückwünscht. Normaler Weise, wäre es üblich gewesen, dass der Gefoppte selbst dem Fallensteller ein Kompliment ausspricht und alle sich bei einem Becher Apfelwein wieder vertragen würden. Mein Bruder jedoch fing zornig an, das Netz, dessen Herstellung mindestens zwei Tage mühsame Arbeit verschlungen haben musste, zu zerreißen und verschwand wenig später fluchend und schimpfend in unserem Bau, um seinen verletzten Stolz zu verbergen.

In den nächsten Monaten fielen mir immer wieder ähnliche Dinge an meinem Bruder auf. Mal war er stundenlang wütend, weil das Essen nicht ganz nach seinem Geschmack gewürzt war, dann wieder waren es das Wetter, oder das laute Spielen der Kinder kurz nach Sonnenaufgang, selbst das Gezwitscher der Vögel vermochte einen kleinen Wutanfall auszulösen. Meinem Vater fielen die Veränderungen in dem Verhalten meines Bruders natürlich auch auf und so versuchte er ihn zu besänftigen und den Grund für seine Angespanntheit heraus zu finden. Leider fielen seine Versuche nicht auf fruchtbaren Boden, es schien sogar so, als ob mein Bruder immer nur noch wütender werden würde. Je mehr wir versuchten, ihn zu verstehen, desto mehr zog er sich in sich selbst zurück und war bald nur noch sehr selten außerhalb seines eigenen Baus zu sehen.

Der Winter verlief weitestgehend ereignislos. Zu der Zeit, als die Tage schon wieder länger wurden geschah dann eines Morgens das Schreckliche. Ich wurde von den Klagerufen meiner Mutter geweckt. Mein Vater lag in seinem Nest aus Blättern, erstochen. Hinterrücks. Im Schlaf. Von dem Mörder keine Spur.  Die ersten Wochen nach dieser Tragödie herrschte großer Aufruhr im Dorf. Ein Mord. Soetwas hatte es noch nie gegeben. Wir waren uns alle sehr schnell einig, dass es niemand aus unserem Dorf gewesen sein könnte, dieser Gedanke war viel zu absurd. Nein, es musste ein Eindringling von außen sein.

Mein Bruder wurde schon bald von unseren Ältesten als der Nachfolger meines Vaters bestimmt. Meine Mutter versank in ihrem Kummer. Man sah sie kaum noch im Dorf. Alles schien auseinander zu fallen. Ich zog mich selbst immer öfter in die Einsamkeit zurück. Die Stille der Bäume, die klaren Tiefen der Seen, die rauen Abhänge der wenigen Felsen, die hier und dort das Blätterdach durchbrechen und die Unerschütterlichkeit des gesamten Waldes und seiner Bewohner halfen mir, dem Schmerz zu entfliehen, der sich tief in meiner Brust festgesetzt zu haben schien. Nach einer Weile war ich wieder öfter im Dorf zu sehen. Das Leben ging weiter. Es war ein fremdes Leben geworden. Wenn man jetzt auf den Dorfplatz trat, sah man immernoch ab und zu spielende Kinder, ihr Lachen schien jedoch nicht mehr so ausgelassen und unbeschwert wie früher. Ein Schatten war über unsere Gemeinschaft gefallen. Die Ältesten erzählten Geschichten wie eh und je, doch die Geschichten hatten sich verändert. Sie sprachen nun öfter von Missgunst, Verrat und dunklen Ahnungen.

 

Die Jahre vergingen und ich wurde erwachsen. Nicht, dass ich es bemerkt hätte. Neben dem Schmerz, der mein Leben überschattete wuchs noch etwas anderes heran. Etwas, dem ich nie Bedeutung zugemessen habe. Ich dachte mir, dass die Geschichten sich in mir eingenistet haben mussten, so wie in jedem anderen. Wir hatten uns verändert. Nachts gingen nun regelmäßig Wachen durch das Dorf. Wir verschlossen die Eingänge zu unseren Bauten, oft sah man kleinere Grüppchen hinter vorgehaltener Hand tuscheln. Seit diesen Tagen trug ich stets ein kleines Wurfmesser bei mir. Wir fingen an, unsere Besitztümer zu horten. An einigen Felsen in der Nähe wurde vor einigen Jahren ein wertvolles Metall gefunden. Mein Bruder ließ einige unserer Männer in das nächstgelegene Menschendorf reisen, um ihnen einen Tauschhandel anzubieten. Bald entstanden feste Handelsbeziehungen und ein Großteil von uns fing an, im Steinbruch zu arbeiten. Man muss verstehen, dass wir Gnome zwar ein gewisses Interesse für fein gearbeiteten Schmuck und schöne Kristalle hegen, es unserer Natur aber sehr fremd ist, aus solchen Gegenständen Profit zu schlagen. Die wenigen Kostbarkeiten, die wir besitzen, werden üblicher Weise von Mutter zu Tochter weitergegeben. Von daher wunderte ich mich zunächst sehr über diese Entwicklung. Aber ich gewöhnte mich daran und bald schon fand ich die Arbeit in den Steinbrüchen so normal wie die geflüsterten Worte und die neu gegrabene Kammer unseres Baus, in der wir nun unser Gold aufbewahrten.

Eines Nachmittages kamen die Arbeiter aus dem Steinbruch zurück ins Dorf. Doch es wurde nicht wie sonst geschwatzt und von dem nahenden Mittagessen geschwärmt. Nein, nicht heute. Im Zentrum der kleinen Kolonne wurde ein in Decken gewickeltes Bündel von vier Erwachsenen getragen. Es bewegte sich nicht. Später erfuhr ich, dass es der kleine Ludoc gewesen ist. Eine ungeplante Explosion in den Minen hatte ihn unter den Felsmassen begraben, die Arbeiter erzählten, dass sie ihn erst nach stundenlanger Arbeit aus dem eingestürzten Tunnel bergen konnten. Ludoc hatte erst vor wenigen Wochen angefangen im Steinbruch zu arbeiten. Seine Mutter hatte sich um den Bau kümmern müssen, und seine älteren Geschwister und sein Vater gehörten zu der Truppe, die mein Bruder einmal im Monat aussandte, um mit den Menschen Handel zu treiben. Sie waren nie länger als ein paar Tage im Dorf, der Weg bis zur Menschenstadt ist weit. Nun brauchten wir Gold zum Überleben, da viele von uns im Steinbruch arbeiteten und die alltäglichen Arbeiten nicht mehr verrichten konnten. Also kauften wir unser Mehl und selbst Fleisch, Gemüse, Obst und Brennholz bei den Menschen. Anstatt im Einklang mit der Natur zu leben, so wie früher, fingen wir an, sie systematisch auszubeuten.

Von den Ereignissen des Tages schockiert machte ich mich auf, meinen Bruder zu suchen. Ich fand ihn schließlich auf einer Lichtung, die eine halbe Stunde Fußmarsch vom Dorf entfernt war. Er stand mit dem Rücken zu mir, der untergehenden Sonne entgegen blickend. Ich trat näher und ließ einen trockenen Ast unter meinem Fuß zerbrechen, um ihn nicht mit meinem plötzlichen Auftauchen zu erschrecken. Er drehte sich zu mir um und sah mich eine lange Zeit schweigend an. Dann wandte er sich wieder der Sonne zu.
„Warum bist du hier?“ fragte er mit leiser Stimme.
Ich wusste zunächst nicht, was ich antworten sollte. Warum war ich hier? Um ihn zu trösten? Nein. Mein Bruder brauchte keinen Trost. Um meinen Schmerz mit ihm zu teilen? Das hatten wir seit langer Zeit nicht mehr getan. Warum also war ich hier?
„Warum bist du hier?“ fragte ich schließlich.
Das war tatsächlich eine gute Frage. Als Dorfoberhaupt sollte er eigentlich den Trauerfeierlichkeiten beiwohnen. Er sollte der Familie des Verstorbenen einen Besuch abstatten. Sollte zeigen, dass ihr Verlust ebenso seiner war.
Ich sah, dass er einmal tief einatmete, bevor er antwortete.
„Der Tod des Jungen ist tragisch, ja. Aber was habe ich damit zu tun?“
Ich konnte nur ungläubig auf seinen Rücken schauen. Endlich drehte er sich wieder zu mir um.
„Was habe ich damit zu tun? Ist es denn mein Fehler, dass die Sprengladung, die für den Osttunnel vorgesehen war hochgegangen ist? Ist es mein Fehler, dass er in einem unautorisierten Abschnitt herum gelaufen ist? Was soll ich denn tun?“
Seine Stimmer wurde immer bitterer. Es schwangen ein Hass und eine Verachtung in ihr mit, die mich erschreckten. Er kam näher, seine Augen fest und unbarmherzig auf mich gerichtet.
„Was soll ich tun, Tahwyn? Soll ich ins Dorf gehen, ein paar Tränen verstecken, die es garnicht gibt und darauf warten, dass ich eine gefühlsduselige Rede halten darf? Eine Rede über einen dummen Jungen, der sich verlaufen hat und jetzt wenigstens endlich gelernt hat, dass er seine Nase nicht in Angelegenheiten zu stecken hat, die ihn nichts angehen. Was soll ich diesen Leuten sagen? Er war schwach. Er hatte Pech. Das war nicht mein Fehler.“
Mit tödlich kalter Stimme erwiderte ich, „Vater würde sich schämen. Wie kannst du nur so reden?“
„Vater war schwach, genau wie dieser Junge. Sie haben bekommen, was sie verdient haben.“
Meine Augen wurden groß. Konnte es sein? Nein, dieser Gedanke war zu abwegig. Das konnte nicht wahr sein, das durfte nicht wahr sein.
„Ja. Jetzt fängst du endlich an zu verstehen.“ Ein irrer Glanz war in die Augen meines Bruders getreten. „Dein lieber Vati, dein großer Held, hatte mir nichts entgegenzusetzen. Unterschätze niemals dein eigen Fleisch und Blut, Schwesterherz. Aber mich, mich hat er ja nie gesehen. Du warst schließlich sein Liebling. Seine kleine Prinzessin, sein Herzblatt.“ Ein schauerliches Kichern. „Jetzt sehen wir ja, wohin es dich und ihn gebracht hat.“

Ich sah ihn mit Tränen in den Augen an. Ich konnte einfach nicht verstehen, was er mir sagte. Mein Bruder? Mein eigener Bruder, der mir erst vor scheinbar einigen Tagen beigebracht hatte, wie man eine Münze verschwinden lässt und wasserfeste Farbe mischt, nur um heimlich in der Nacht den Nachbarskindern ihre Nasen rot anzumalen. Mein Bruder sollte dieses unglaubliche Grauen heraufbeschworen haben. Außer mir vor Zorn und Verzweiflung forderte ich ihn auf, das Dorf zu verlassen. Ich sagte, dass ich es niemandem erzählen würde. So würde ihm wenigstens die Schande erspart werden, vor dem ganzen Dorf als Mörder enttarnt zu werden. Seine Verbannung jedoch war gewiss. Er zog den Dolch, den er seit seiner Ernennung stets bei sich trug und kam drohend auf mich zu. Ohne einmal mit der Wimper zu zucken, zog ich das kleine Wurfmesser aus meinem Stiefel und warf es. Es traf sein Ziel. Wie konnte es auch nicht, nachdem mein Vater starb, habe ich es im Messerwerfen zur Meisterschaft gebracht. Ich hätte ihn mit verbundenen Augen getroffen. Vor Grauen über meine eigene Tat zitternd rannte ich fort. Fort von dieser Lichtung, fort von unserem Dorf, meiner Mutter, von allem was ich kannte und liebte. Mein zu Hause war mir fremd geworden, genau, wie ich mir selbst fremd geworden bin.

Ich sah nie zurück.

Die nächsten 40 Jahre verbrachte ich in der Wildnis. Ich streifte durch dunkle Wälder und einsame Steppen. Wanderte durch verlassene Täler, passierte schneebedeckte Berge und sprach mit niemandem. Ich mied die Gnome, ebenso wie die Zwerge, Menschen und Halblinge. Die Natur gab mir alles was ich brauchte und im Gegenzug widmete ich ihr mein ganzes Leben. Die Tiere wurden meine Freunde. Wohin ich auch ging, stets war ein Gefährte bei mir.
Eines Tages wanderte ich an den Ausläufern eines hohen Gebirgszugs entlang und entdeckte eine Höhle. Ich spürte die Anwesenheit eines Tieres, also trat ich ein, um mich vorzustellen und um Unterschlupf für die Nacht zu bitten. Ich fand eine riesige Fledermaus, größer, als alle die ich bisher gesehen hatte. Sie nahm mich freundlich auf und als ich am nächsten Morgen gehen wollte, begleitete sie mich, seitdem reisen wir zu zweit.
Unser Leben verlief ruhig, bis wir eines Morgens in einer trockenen Steppe ein seltsames Erdbeben spürten. Ein riesiges Tier wühlte sich offensichtlich in einiger Entfernung durch den Boden. Von Neugier gepackt, folgten wir seiner Fährte.

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